Die beiden Kölner Sekundärschulen 1804-1814

Markus Jansen

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Die Stadt Köln kannte in den 20 Jahren unter französischer Herrschaft vier aufeinanderfolgende Bildungssysteme. Nach der Schließung der alten Kölner Universität 1798 und dem Ende der Zentralschule 1804 wurde während des Konsulats Napoleons ein neues Bildungssystem in Frankreich etabliert. [1] Die bereits ab Mai 1802 begonnene zentralistische Reform sah vier Schularten vor: Auf unterster Ebene blieb wie bereits zuvor die Primärschule bestehen, ihr folgte aber nun eine Sekundärschule als Mittelschule ohne den universitären Charakter der ehemaligen Zentralschulen. [2] Auf sie aufbauend folgten das Lycée oder Lyzeum als Oberschule mit einigen Universitätsfächern und zu guter Letzt Spezialschulen, die als einzige akademischen Anspruch hatten. Während die Primär- und Sekundärschulen durch kommunale Behörden oder private Träger unterhalten werden mussten, kam der Staat für die Lycées und Spezialschulen auf. Im Département de la Roer wurden acht kommunale Sekundärschulen eingerichtet, neben Köln in Aachen, Monschau, Kempen, Neuss, Brühl und Venray. [3] Lycées gab es weniger, im Schnitt kam eine solche Einrichtung auf drei bis vier Départements. In den rheinischen Départements entstanden Lycées in Bonn und Mainz, Köln ging dabei vorerst leer aus.

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Die militärische Prägung der Lycées und Spezialschulen kritisierte der erste Wallrafbiograph Wilhelm Smets (1796-1848) scharf, indem er anmerkte, dass Wallraf dieser „oberflächlichen französischen Schulbildung, die, besonders in damaliger Zeit, nur berufsmäßig für das Schlachtfeld taugliche Subjekte dem Staate zu schaffen sich bestrebte“ [4], entschieden entgegengearbeitet habe. Diese militärische Motivik in der Bildungspolitik bettet unter anderem Pabst in den Kontext der Feldzüge Napoleons ein. [5] Köln hatte sich um die Einrichtung eines Lycées bemüht, den Zuschlag erhielt jedoch die alte Konkurrentin Bonn. So konnte auch nur ein Teil der Professoren der Zentralschule an die erste Kölner Sekundärschule übernommen werden, die im ehemaligen Laurentianer Gymnasium eingerichtet wurde. Ferdinand Franz Wallraf gehörte nicht zu diesen Personen.

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Die Stadt Köln gab ihre Bemühungen um eine weitere höhere Bildungseinrichtung als Ersatz für die geschlossene Zentralschule nicht auf. [6] Ungeachtet der Tatsache, dass die französischen Gesetze eine derartige Institution nicht vorsahen, warben Vertreter der Stadt in Paris für die Errichtung einer Schule auf Lycée-Rang mit dementsprechendem Lehrangebot – die wohlgemerkt kein eigentliches Lycée sein sollte. Tatsächlich erhielt man am 2. Oktober 1805 die, vorerst noch provisorische, Erlaubnis zur Eröffnung einer zweiten Sekundärschule im Gebäude des ehemaligen Jesuitengymnasiums. Doch dem nicht genug, per kaiserlichem Dekret vom 13. November 1805 [7] wurde diese neue Schule in den Rang Sekundärschule zweiten Grades erhoben. Sie sollte auf der älteren Sekundärschule, die nun zu einer Sekundärschule ersten Grades wurde, aufbauen und stand faktisch auf dem Niveau eines Lycées. [8] Dies stellte in Frankreich ein absolutes Novum dar, Köln war die einzige Stadt des Landes mit zwei kommunalen Sekundärschulen auf unterschiedlichem Niveau. Neben diesen gab es in Köln darüber hinaus noch drei private Sekundärschulen.

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Der berühmteste Professor der Kölner Sekundärschule zweiten Grades war Friedrich Schlegel (1772-1829), der bedeutende Kulturphilosoph, Romantiker, Literaturtheoretiker, Dichter und Sprachforscher. Er zählte zum Freundeskreis Wallrafs und kam in der Mitte des Jahres 1804 nach Köln. Bereits von Juni bis September 1804 hatte er an der Zentralschule Vorlesungen gehalten. An der Sekundärschule zweiten Grades erhielt er ab dem 31. Oktober 1805 eine der zwei Professuren für Schöne Künste. Allerdings nahm er seine dortigen Lehrtätigkeiten allem Anschein nach nicht ernst genug und so wurde sein Lehrstuhl im Juni 1807 neubesetzt. [9] Neben Schlegel fand auch Wallraf an der Sekundärschule zweiten Grades nun wieder eine Anstellung, er erhielt den zweiten Lehrstuhl für die Schönen Künste. Die Zeit seit der Schließung der Zentralschule 1804 hatte er mit privaten Vorlesungen überbrücken können.

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Vom fehlenden akademischen Charakter abgesehen bestand ein weiterer großer Unterschied zwischen Zentral- und Sekundärschule darin, dass letztere wesentlich stärkeren Beschränkungen im Sinne des zentralistischen Staatsgeistes unterlag. Ihre Abhängigkeit von offiziellen Vorgaben drückte sich etwa durch ein strenges Verhaltensreglement für die Professoren, den Zwang zur Dokumentierung des Unterrichts und der Forderung nach Pünktlichkeit und Disziplin aus. Im oben genannten Dekret Napoleons wurden ferner die Unterrichtsfächer festgelegt. Die Lehrinhalte mussten mit dem französischen Innenminister abgestimmt werden. Unterrichtet werden sollten die Fächer Schöne Wissenschaften, Logik, Philosophie, Mathematik, Physik, Chemie und Naturgeschichte. [10] Außer in den Schönen Wissenschaften, wo deutsche, französische, griechische und lateinische Schriften in ihrer jeweiligen Sprache behandelt wurden, hatte der Unterricht auf Französisch zu erfolgen.

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Die untenstehenden Schülerzahlen der beiden Sekundärschulen zeigen im Vergleich mit jenen der alten Universität oder der Zentralschule keine besonders hohe Frequentierung der neuen Schulform.

 

Schule 1. Grades

Schule 2. Grades

Gesamt

1805

136

k.A.

 

1806

128

37

165

1807

126

37

163

1808

148

52

200

1809

176

43

219

1810

181

43

224

1811

180

54

234

1812

165

41

206

1813

173

45

218

1814

173

k.A.

 

Schülerzahlen der Sekundärschulen von 1805-1814 nach Damesme: Schulverwaltung (wie Anm.1), 181-183.

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Die von 1802 bis 1804 durchgeführten Reformen sollten nicht die letzten der napoleonischen Zeit bleiben. Am 10. Mai 1806 kündigte der französische Kaiser eine noch stärker zentralisierende Reform mit dem Ziel der Zusammenfassung des Schulwesens in einem einzigen, streng hierarchisch organisierten Körper an. Pabst nennt die „vollständige Lenkung aller politischen und moralischen Ansichten der Nation“ [11] als Absicht des Kaisers. Da diese Reform jedoch keine neuen Schulformen schuf, sind ihre Auswirkungen auf Köln gering. [12] 1808 wurde in Paris die Université Impériale als übergeordnetes Organ aller französischen Unterrichtsanstalten gegründet. Ihr unterstanden Akademien als Teilinstitutionen in den einzelnen Départements, sie waren in etwa mit den vorherigen Universitäten vergleichbare Einrichtungen. [13] Als Akademiestandort für das Département de la Roer wurde Lüttich auserkoren, für die anderen drei rheinischen Départements erhielt Mainz diese Rolle. Köln war demnach Lüttich unterstellt.

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Auch jetzt brachen die Kölner Bemühungen um einen Ersatz der alten Universität nicht ab und so sandte Wallraf am 26. Januar 1810 ein auf Latein verfasstes Bittschreiben [14] nach Paris und warb für eine rheinische Akademie in seiner Heimatstadt. Bei dieser Gelegenheit trug er auch an, seine eigene Sammlung als Unterrichtsmaterialien bereitzustellen. Molitor vermutet, dass es ihm ebenso um einen stimmigen Ausklang seiner eigenen akademischen Karriere ging. [15] Trotz positiver Signale blieben alle Anstrengungen fruchtlos, unter anderem auch, da dem französischen Innenminister die Gesinnung der Kölner noch stets zu deutsch war. [16] Obgleich 1813 endlich ein Lycée und eine Spezialschule für Köln bewilligt wurden, konnten diese aufgrund des Zusammenbruchs des Kaiserreichs nach der Völkerschlacht bei Leipzig nicht mehr eingerichtet werden. Ungeachtet der seit 1798 nie ganz verstummten Stimmen für eine Fortführung der Kölner Universitätstradition dauerte es noch mehr als 100 Jahre, bis 1919 die Universität zu Köln neugegründet wurde.

Anmerkungen

[1] Zur Wandlung des französischen Schulsystems unter Napoleons Herrschaft vgl. Nathalie Damesme: Öffentliche Schulverwaltung in der Stadt Köln von 1794-1814, Köln / Weimar / Wien 2003, 93-95 und 211-217.

[2] Vgl. Klaus Pabst: Das Ende der freien Reichsstadt Köln. Gesellschaftliche und bildungspolitische Umbrüche in der Franzosenzeit, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hg.): Bildung stiften, Köln 2000, 40-57, hier: 54.

[3] Vgl. Damesme: Schulverwaltung (wie Anm. 1), 97f. Venray wurde allerdings 1810 in eine Primärschule umgewandelt.

[4] Wilhelm Smets: Ferdinand Franz Wallraf. Ein biographisch-panegyrischer Versuch, Köln 1825, 23f. (Digitalisat Smets: Wallraf) Die militärische Prägung stellt auch Damesme fest, vgl. Damesme: Schulverwaltung (wie Anm. 1), 94.

[5] Vgl. Klaus Pabst: Der Kölner Universitätsgedanke zwischen Französischer Revolution und Preußischer Reaktion (1794-1818), in: Bernd Heimbüchel / Ders. (Hg.): Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Wien 1988, 1-99, hier: 6 und 45f.

[6] Zu den Bemühungen um eine weiter höhere Schule vgl. Damesme: Schulverwaltung (wie Anm. 1), 125-133.

[7] Abgedruckt in Franz Joseph von Bianco: Versuch einer Geschichte der ehemaligen Universität und der Gymnasien der Stadt Köln, so wie der an diese Lehr-Anstalten geknüpften Studien-Stiftungen von ihrem Ursprung bis auf die neuesten Zeiten in zwei Theilen, Köln 1833, 588-593.

[8] Vgl. Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 5), 52f.

[9] Vgl. Damesme: Schulverwaltung (wie Anm. 1), 176; Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 5), 25f. Ausführlich zu Schlegels Zeit in Köln siehe Harro Zimmermann: Friedrich Schlegel oder Die Sehnsucht nach Deutschland, Paderborn 2009, 213-241.

[10] Vgl. Bianco: Geschichte (wie Anm. 7), 591.

[11] Pabst: Reichsstadt (wie Anm. 2), 54.

[12] Zur Auswirkung der Reform auf das Kölner Schulwesen vgl. Damesme: Schulverwaltung (wie Anm. 1), 211-234.

[13] Vgl. Dietrich Höroldt: Die Rivalität der Universitätsstädte Köln und Bonn, in: Hans Blum (Hg.): Aus kölnischer und rheinischer Geschichte. Festgabe Arnold Güttsches zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln 1969, 189-214, hier: 196.

[14] Zu dem Bittschreiben vgl. Hansgeorg Molitor: Ferdinand Franz Wallraf und die Kölner Universität. Ein lateinischer Brief aus dem Jahr 1810, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das Alte Erzbistum Köln 176 (1974), 83-92. Der lateinische Text findet sich in Gänze auf den Seiten 86-92.

[15] Vgl. Molitor: Brief (wie Anm. 14), 86.

[16] Vgl. Klaus Pabst: Bildungs- und Kulturpolitik der Franzosen im Rheinland zwischen 1794 und 1841, in: Peter Hüttenberger / Hansgeorg Molitor (Hg.): Franzosen und Deutsche am Rhein 1789-1918-1945, Essen 1989, 185-201, hier: 198.

Empfohlene Zitierweise
Markus Jansen, Die beiden Kölner Sekundärschulen 1804-1814, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Die beiden Kölner Sekundärschulen (Datum des letzten Besuchs).