Die Universitätsdenkschrift Wallrafs

Thea Fiegenbaum

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„Die verleumdeten, gepreßten Kölner hatten viele Mühe, sich den Anmaßungen der kleinen Nachbarstadt zu entwinden, und eben so viele Sorge, ihre durchs Recht ihnen unbenehmlichen Schulstiftungen zu retten. Ihrer alten Universität wurde dieser Name um desto feierlicher getilgt, weil ihr Corpus den französischen Eid zu leisten sich geweigert hatte. […] Bonn empfing unter den zuerst auserwählten Städten ein französisches Lyceum […]. Zum Glanz und Unterhalt jenes Lyceums mußte unsere Stadt ihre alten großen Unterrichts-Anstalten gleichsam verläugnen und jährlich aus ihren Schulen eine Anzahl eingeborner Jünglinge auf Kosten ihres Aerariums und ihrer unveräußerlichen einheimischen Studienstiftungen zu der gebietenden Nachbarstadt hinsenden und dort unterhalten. Die kölnische Schule empfing dann bald vom Lyceum zu Bonn, bald von den Akademieen [!] zu Mainz, Lüttich oder Coblenz ihre Weisungen und Plackereien. […] So dauerte das unsichtbare Gericht der Ungunst und der Schicksale über Köln bis zum Ende der zwanzig theuren Jahre der französischen Sclaverei fort.” [1]

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Wallraf tobt. Die Möglichkeit, dass das kleinere Bonn den Zuschlag für die neu zu gründende Universität erhalten könnte, behagt ihm ganz und gar nicht. In ausschweifenden Worten klagt Wallraf hier über die ehemalige französische Herrschaft in Köln und rückt zugleich Kölns Nachbarstädte, insbesondere Bonn, in schlechtes Licht. Das Zitat stammt aus der sogenannten Universitätsdenkschrift Wallrafs aus dem Jahr 1814. Veranlasst wurde diese durch die Flugschrift des Bonner Kreisdirektors und späteren Universitätskurators Philipp Joseph Rehfues (1779-1843). Unter dem Titel Die Ansprüche und Hoffnungen der Stadt Bonn, vor dem Thron ihres künftigen Beherrschers niedergelegt hatte dieser nämlich zuvor deutlich für den Standort Bonn Stellung bezogen. [2] So forderte er beispielsweise, Kölner Studienstiftungen für Bonn nutzbar zu machen, schwieg aber zur Konfessionsfrage oder Struktur der neuen Universität. [3] Rehfues schrieb zunächst anonym unter dem Kürzel ‚P.J.R.', doch seine Autorschaft wurde rasch bekannt. Er arbeitete eng mit dem Bonner Oberbürgermeister Anton Maria Graf von Belderbusch (1758-1820) zusammen und konnte auf alle notwendigen Unterlagen zugreifen. [4] Die Bittschrift wurde vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), von Staatskanzler Hardenberg (1750-1822) und Generalgouverneur Sack (1764-1831) positiv aufgenommen. Sie gaben das vage Versprechen, die Bonner Interessen künftig nach Möglichkeit zu berücksichtigen. [5] Zu Rehfues' Schrift resümiert Höroldt:

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„Sie ist eine typische Werbeschrift und als solche bemüht, die Vorteile Bonns gegenüber den Konkurrenten herauszustreichen, keineswegs aber eine allseits abwägende Darstellung der Eigenschaften der betroffenen Städte zu geben. […] der Überzeugungskraft der Refuesschen [sic] Darstellung kann man sich kaum entziehen, denn der Autor steht offensichtlich voll hinter seinen Worten und kann seine Angaben zu einem guten Teil belegen. Kein Wunder also, daß die Schrift bei der Kölner Konkurrenz sofort Aufsehen und Ärgernis erregte.” [6]

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Köln reagierte erwartungsgemäß mit Unwillen und Widerspruch. [7] Schon im November 1814 brachte die Kölnische Zeitung eine Zusammenfassung der Argumente für eine neue Universität in der Stadt. [8] Die Gerüchteküche kochte. Wallraf versuchte, Druck auszuüben, indem er die Kölner Universität zur Bedingung für die Stiftung seiner Sammlung an die Stadt Köln machte: [9]

„Seit Aufhebung der Kölner Universität im April 1798 waren in Köln die Bemühungen um die Wiedererlangung einer Hochschule nicht abgebrochen. Wallraf gehörte zu den eifrigsten Kämpfern für dieses Ziel und versuchte später immer wieder, seine Sammlungen als Standort-Argument gegen Bonn anzubringen.” [10]

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„Denkschrift in Bezug auf die Gründung einer Rhein-Universität” von Wallraf, Köln 1814

Quelle: BSB/ MdZ, CC0 1.0

Eine erste sarkastisch formulierte Denkschrift des Kölners Eberhard von Groote (1789-1864) wurde als zu harsch abgelehnt und blieb ungedruckt. [11] Infolgedessen wurden Wallraf und einige weitere Bürger Kölns beauftragt, die Bonner Ansprüche in einer Gegenschrift zurückzuweisen. [12] Auch hieran war Groote nicht unbeteiligt, dienten seine Aufzeichnungen doch als Vorlage. Die Arbeit erfolgte gemeinsam und kleinschrittig. Entsprechend langsam gestaltete sich der Entstehungsprozess. Wallraf sammelte das Material, lieferte aber 1815 nur einen Teil der Schrift für den Druck. [13] Deeters spricht von einer Überforderung Wallrafs und merkt kritisch an: „[...] war es ihm [Wallraf] doch auch in jüngeren Jahren nie gelungen, ein Thema gründlich, systematisch und erschöpfend zu behandeln. Vielleicht spürte er aber auch, daß die neue Zeit andere Vorstellungen von einer Universität hatte, als er sie getreu der Kölner Tradition entwickelte.” [14] Deeters hebt damit die Mängel hervor: Sie sei stilistisch von „pathetischer und ermüdender Breite” und resultiere letztlich in einer „umfangreichen und langatmigen Denkschrift”, die unfertig blieb. [15] Auch Pabst beurteilt das Produkt Wallrafs als „umfassende Stadtgeschichte Kölns”. [16] Erst nach einer langen Vorrede kommt er auf das eigentliche Thema zu sprechen. Nach über einem Jahr, und mit Verspätung, folgte damit die Kölner Antwort auf die Bonner Schrift. [17]

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Das originale Konzept der Denkschrift ist nicht mehr vorhanden. Im Historischen Archiv der Stadt Köln sind zwei Exemplare des Drucks erhalten. [18] Erneut abgedruckt wurde die Denkschrift nach Entwürfen und Fragmenten aus dem Kölner Historischen Archiv in Wallrafs „Ausgewählte Schriften. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz" im Jahr 1861. [19]

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Am 7. November 1815 schrieb Groote aus Paris einen Brief, in dem er den Verlust der Universität für Köln ankündigte. Stattdessen sei die Entscheidung für den Standort Bonn gefallen. Er berichtet von der Verbreitung der Schrift Rehfues' und fragt, warum die Kölner Gegenschrift noch nicht fertig und an ihn übermittelt worden sei. Auch klagt er über die Kölner „Schläfrigkeit” in dieser Angelegenheit. [20] Diesem vorangegangen war die Kabinettsordre des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), die Bonn als „wohl geeignet” ansah. Eine endgültige Entscheidung bedeutete dies jedoch noch nicht. [21] Pabst zweifelt besonders das Auftreten und diplomatische Geschick des erst 26 Jahre alten Groote an. Dieser sei von „allzu großem Enthusiasmus für die große Vergangenheit seiner Vaterstadt und von lautstarkem patriotischen Eifer beherrscht” gewesen. [22]

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Danach, so vermutet Deeters, habe Wallraf wohl seine Arbeit an der Kölner Schrift eingestellt. Sie sei ihm aus Altersgründen eine große Last gewesen, wenn auch eine Herzensangelegenheit. [23] In Berlin schien man im Laufe des Jahres 1817 nun mehr und mehr Bonn zu favorisieren. Pabst problematisiert vor allem die in Köln gewünschte katholische Prägung einer dortigen Universität und verweist auf die Differenz zum protestantischen Preußen. [24] Auch Persönlichkeiten wie der Kronprinz (1795-1861) vermochten nichts mehr für Köln auszurichten. [25] Eine weitere Streitschrift erschien: Der frühere kurfürstliche Philosophieprofessor Johannes Neeb (1767-1843) argumentierte im März 1817, der merkantile Geist Kölns vertrage sich wohl kaum mit der Wissenschaft. [26] Am Ende unterlag Köln. Die neue Universität ging in das benachbarte kleinere Bonn.

Anmerkungen

[1] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift in Bezug auf die Gründung einer Rhein-Universität, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 224-283, hier: 263f. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)

[2] Siehe Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 88.

[3] Klaus Pabst: Der Kölner Universitätsgedanke zwischen Französischer Revolution und Preußischer Reaktion (1794-1818), in: Bernd Heimbüchel / Ders. (Hg.): Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Wien 1988, 1-99, hier: 66.

[4] Dietrich Höroldt: Stadt und Universität. Rückblick aus Anlaß der 150 Jahr-Feier der Universität Bonn, Bonn 1969, 18f. Einen Überblick zum Inhalt der Schrift siehe hier 19-22.

[5] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 4), 23.

[6] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 4), 21.

[7] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 88.

[8] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 66.

[9] Siehe Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 73-75. Erstmals legte Wallraf den Gedanken, seine Sammlung der Öffentlichkeit zu vermachen, im Jahr 1807 schriftlich nieder. Am 9. Mai 1818 setzte Wallraf die Stadt testamentarisch als seine Universalerbin ein.

[10] Bianca Thierhoff: Ferdinand Franz Wallraf – Ein Sammler des „pädagogischen Zeitalters“, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 389-406, hier: 396.

[11] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 66.

[12] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 88.

[13] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 88.

[14] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 75.

[15] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 75, 88.

[16] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 67.

[17] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 4), 21f.

[18] Wallrafs Universitätsdenkschrift 1814. In: HAStK, Best. 1105, A 131/1. Beim Druck lagen bis 1815 nur die ersten 88 Seiten vor.

[19] Vgl. Anm. 1. Als Vorlage dienten Entwürfe und Fragmente von Wallrafs Universitätsdenkschrift 1814, in: HAStK, Best. 1105, A 132, Bl. 1-44.

[20] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 88f. Die "Schläfrigkeit" beklagte Groote auch in einem Brief an seinen Bruder Joseph vom 6. November 1815, in: Archiv Haus Londorf, Herr von Groote, Familienbriefe, 1.1, Nr. 38.

[21] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 89.

[22] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 69.

[23] Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 89.

[24] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 72-76.

[25] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 73.

[26] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 3), 73.

Empfohlene Zitierweise
Thea Fiegenbaum, Die Universitätsdenkschrift Wallrafs, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Die Universitätsdenkschrift Wallrafs (Datum des letzten Besuchs).