Beutezüge der Franzosen in Deutschland

Michelle Welsing

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Schon seit der Antike gibt es als Folgeerscheinung von Krieg das Phänomen des Kunstraubes. Napoleon hat sich den Kunstraub betreffend an den alten Römern orientiert, von dem auch Deutschland nicht verschont geblieben ist. Die Franzosen waren davon überzeugt, dass es ihre Aufgabe sei, Kunst und Wissenschaft in Paris zu vereinen, sie zu fördern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. [1] Nichtsdestoweniger war es ein Zeichen von Macht, Überlegenheit und eine gute Gelegenheit, Trophäen zu sammeln.

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Das erste Mal infolge der Französischen Revolution wurde Deutschland in den Jahren 1794/95 vom Kunstraub getroffen. Frankreichs ‚Commission temporaire des arts‘ schickte vier Kommissare, welche Experten für Kunst und Naturwissenschaften waren, in die linksrheinischen Gebiete. Sie waren relativ ungebunden und konnten frei entscheiden, welche Kulturgüter sie nach Paris schicken wollten. Sie hatten unterdessen auch die Aufgabe Land und Leute zu beobachten und besser kennenzulernen. Sie sollten Berichte schreiben, technologische und handwerkliche Geräte sammeln und Pflanzen untersuchen. So wurden Geräte zum Nachbauen und Saatgut zum Anpflanzen nach Paris geschickt, um die Wirtschaft anzukurbeln. [2]

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Ab September hielten sich die Kommissare in Aachen auf, wo der spektakulärste Raub stattfand: Im Aachener Münster wurden die Säulen, welche Karl der Große aus Rom und Ravenna mitgebracht hatte, und die im Oktogon standen, herausgerissen und nach Paris transportiert. [3] Den Marmorsarkophag, auf dem der Raub der Proserpina zu sehen ist und in dem Karl der Große bestattet wurde, schickten die Kommissare ebenfalls nach Paris. Ebenso den Adler vom Aachener Rathaus, der eher eine militärische Trophäe, als ein Kunstschatz war. [4] Dazu zählten auch einige der konfiszierten Stadtkanonen. [5] Anders als in Köln wurden während dieses ersten Beutezuges die Bibliotheken kaum angerührt. Wahrscheinlich war man mit dem Raub der Säulen zunächst ausreichend beschäftigt. Außerdem gaben sich die Aachener nicht leicht geschlagen. Sie leisteten Widerstand, indem sie viele wertvolle Bücher auf die rechte Rheinseite schickten und ihre Kataloge verschwinden ließen. [6]

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Die Franzosen begründeten den Kunstraub damit, dass man die Werke von Fürsten und Klerus konfiszieren müsse, da ihre Sammlungen privat und nicht jedermann zugänglich gewesen seien. Einrichtungen, die öffentlich waren, sollten verschont bleiben. Allerdings wurde das nicht immer eingehalten, wie sich zum Beispiel an der sehr begehrten Sammlung des Jesuitenkollegs in Köln zeigt. Teilweise konfiszierten die Kommissare wahllos Gegenstände und handelten oft eher im eigenen Interesse, welches im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Begründung stand, dass Kunst nicht privat gesammelt werden solle. [7] Anfang 1795 kehrten die Kommissare nach Paris zurück.

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Als nächster Kommissar wurde Antoine Keil (geb. 1769) nach Deutschland geschickt. Er war selbst Deutscher, hatte sich aber der Französischen Revolution angeschlossen. In seiner Heimat wurde er im Winter 1796 folglich nicht freundschaftlich empfangen, da er dort als „ein Feind der Regierung, ein Feind seiner Mitbürger; ein Menschenfeind; ein niederträchtiger Denunziant [8] galt. Keils Aufgabe sollte es sein, die rechte Rheinseite zu plündern, aber da diese bislang nicht erobert werden konnte, musste er sich erneut auf die linke Rheinseite beschränken. Er konfiszierte weder im großen Stil, noch waren die Beschlagnahmungen von hohem künstlerischen Wert, wenngleich die Werke für die Rheinländer eine große symbolische und religiöse Bedeutung hatten. Sie betrachteten Keils Konfiskationen daher als Angriff auf ihr Kulturerbe. [9] Da zur gleichen Zeit der Feldzug in Italien stattfand, erregte dieser zweite Beutezug in anderen Teilen Deutschlands nicht besonders viel Aufsehen.

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Nach dieser Aktion wurden die deutschen Gebiete bis 1800 zunächst verschont. Erst im Juli des Jahres erreichte der nächste Kommissar Deutschland, Francoise-Marie Neveu. Er bewegte sich hauptsächlich in München, Salzburg und Nürnberg. Für die Pariser Museen war die kurfürstliche Sammlung von München besonders interessant, da sie dafür bekannt war „eine der größten und angenehmsten“, zu sein, „die es in Europa gibt.“ [10] Doch eigentlich hätte diese Sammlung vor den Franzosen sicher sein müssen, da diese bereits seit 1783 der Öffentlichkeit zugänglich war. Es ging den französischen Kommissaren also nicht mehr nur darum, Kunst öffentlich zu machen, sondern darum ihre Sammlungen zu vervollständigen. Neveu war jedoch nicht in der Lage, seinen Auftrag erfolgreich zu erfüllen, da, ähnlich wie in Aachen, viele Kunstgegenstände evakuiert worden waren. In den Augen seiner Auftraggeber waren zum Beispiel nur neun der 72 beschlagnahmten Gemälde zu gebrauchen. [11]

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Nach Neveus Mission wurden die deutschen Territorien noch zwei Mal von französischen Gesandten geplündert: Zuerst zwischen 1803 und 1804 von dem als „erbärmlicher Geschäftemacher und Strauchdieb“ [12] bekannten Kommissar Jean-Baptiste Maugérard (1735-1815) und ein zweites Mal in den Jahren 1806 und 1807 vom Direktor des Louvre, Dominique-Vivant Denon (1747-1825). Erstaunlich ist, dass zunächst weder Presse, noch Gelehrte und Kunstinteressierte auf diese Geschehnisse reagierten. Erst als Frankreich sich der Kunst Italiens bemächtigte, regte sich Widerstand. Als möglicher Grund für die Zurückhaltung der Presse in Bezug auf die deutschen Lande kann die Zensur unter napoleonischer Herrschaft geltend gemacht werden. Allerdings gibt es zahlreiche Artikel die die Empörung über den Kunstraub in Italien ausdrücken und in denen die Franzosen als Räuber dargestellt wurden. [13] Ein weiterer Grund kann sein, dass Deutschland damals noch nicht als Einheit betrachtet werden konnte, denn es bestand zu dieser Zeit aus einem Flickenteppich von Fürstentümern ohne gemeinsame Identität. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl stellte sich erst während der Restauration zwischen 1813 bis 1815 ein. Des Weiteren stammten die meisten der konfiszierten Werke nicht aus Deutschland, sondern aus Italien, Spanien und vor allem aus den Niederlanden. [14] Hinzu kam die Ansicht, "dass mit dem Kunstraub die eigene Unzulänglichkeit im Umgang mit dem eigenen Kulturerbe ihre verdiente Strafe erhielt.“ [15]

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Trotz aller Negativität, die der Kunstraub mit sich brachte, wie zum Beispiel dem Verlust eines Teiles des Kulturerbes und der Tatsache, dass einiges nie wieder nach Deutschland zurück gebracht wurde, gab es doch auch einen positiven Aspekt. Nachdem Denon zurückgekehrt war und die deutschen Werke 1807 in Paris eintrafen, wurden sie in einer Ausstellung im Louvre präsentiert. Viele von ihnen waren in Vergessenheit geraten, wie zum Beispiel die altdeutschen Meister. Dadurch, dass Sammelbände und Ausstellungskataloge publiziert wurden, verhalfen sie der deutschen Kunst zu neuer Popularität. Menschen aus ganz Europa pilgerten nach Paris, um die Kunstschätze des Louvre zu bestaunen: „Mit der Pariser Ausstellung von 1807 wurden die alten Meister zu einem Nachahmungs- und Studiengegenstand und öffneten den Horizont einer möglichen Wiedergeburt der zeitgenössischen Kunst.“ [16]
 

Anmerkungen

[1] Max Braubach: Verschleppung und Rückführung rheinischer Kunst- und Literaturdenkmale 1794 bis 1815/16, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 176 (1974), 93-153, hier: 94.

[2] Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 41.

[3] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 48.

[4] Braubach: Verschleppung (wie Anm. 1), 95.

[5] Braubach: Verschleppung (wie Anm. 1), 97.

[6] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 55.

[7] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 54.

[8] Zitiert nach Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 59.

[9] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 59.

[10] Zitiert nach Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 71.

[11] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 83.

[12] Zitiert nach Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 96.

[13] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 201.

[14] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 227.

[15] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 227.

[16] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 2), 356.

Empfohlene Zitierweise
Michelle Welsing, Beutezüge der Franzosen in Deutschland, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Beutezüge der Franzosen in Deutschland (Datum des letzten Besuchs).