Zeitgenössische Reaktionen

Miriam Cockx

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Der deutschsprachige Raum war allen Phasen der Beschlagnahmungen durch französische Kunstkommissare ausgesetzt. Zwischen 1794 und 1810 wurden zahlreiche Kunst- und Büchersammlungen systematisch durchforstet und die daraus ausgewählten Objekte nach Frankreich transportiert. [1] Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die Deutschen auf den Raub ihrer Kulturgüter reagierten.

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Köln hatte sich am 6. Oktober 1794 den Franzosen kampflos ergeben. Bereits wenige Tage später waren die Kreuzigung Petri von Rubens und die Sammlung des Jesuitenkollegs nach Paris verbracht worden. [2] 1773 war die Sammlung anlässlich der Auflösung des Jesuitenordens an die Stadt Köln übergegangen. Sie umfasste 130 Bände mit Kupferstichen und 30 Bände mit Originalzeichnungen. Vor 1794 ist kaum städtisches Interesse an der Sammlung durch Quellen belegt. Erst mit der Denkschrift Ferdinand Franz Wallrafs, die er anlässlich der Kölner Rückgabeforderungen verfasste und der preußischen Kommission übergab, rückte sie wieder in das Bewusstsein. [3] Wallraf betonte die Bedeutung der Kunstwerke, die wohl auch Katharina der Großen aufgefallen waren, woraufhin sie für die gesamte Sammlung ein Angebot von 20.000 Rubel unterbreitet hatte. Der Kölner Senat hatte das Angebot jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Sammlung ein Aushängeschild der Stadt sei. Außerdem war ihr ein Platz in einer geplanten Kunstakademie zugedacht. Wallraf taxierte die Sammlung abschließend auf einen Gesamtwert von 100.000 Franc. [4] Trotz des augenscheinlich hohen Wertes der Jesuitensammlung hatte es in Köln vor 1794 keinerlei Bemühungen um ein städtisches Museum zur Verwaltung und Pflege der Kunst gegeben. [5]

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Zwar war den Kölnern die Vorgehensweise der Franzosen bei der Wegnahme von Kunstwerken bekannt, dennoch hatten sie keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Vermutlich gab es keine Organisation, die den Schutz der Kunstwerke ähnlich einer städtischen Kunstsammlung oder eines Museums hätte übernehmen können. Einige Kunstwerke wurden allein durch die Initiative einzelner Stadtbürger gerettet, so beispielsweise Stefan Lochners Altar der Stadtpatrone. [6]

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Weder von der deutschen Presse noch von Seiten deutscher Gelehrter gab es in den Jahren 1794 und 1795 hinsichtlich der französischen Konfiszierungen eine starke Resonanz. Erst 20 Jahre später formte sich eine patriotisch ausgerichtete Reaktion, die vor allem im Rheinland großen Widerhall fand. [7] Obwohl man der heimischen Kunst in den Anfangsjahren der Konfiszierungen nur Gleichgültigkeit entgegenbrachte, war man über den Kunstraub in Italien 1796 mehr als bestürzt. Deutsche Gelehrte verurteilten den Transfer der römischen Kunst nach Paris als Raub am Erbe der Menschheit. Die deutsche Elite, die nach den Schriften Winckelmanns von einem klassizistischen Ideal geprägt war, sah in den Beutezügen der Franzosen in Italien „ein Verbrechen gegen die kosmopolitische Welt“. [8]

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Diese anfänglich feindliche Debatte über den französischen Kunsttransfer änderte sich jedoch ab 1801. Zwar fanden sich noch vereinzelte Stimmen, die im Kunstraub in Italien einen Missbrauch am Erbe der ganzen Welt sahen, doch setzte sich nun das Meinungsbild durch, dass Frankreich für die Werke den bestmöglichen Ausstellungsrahmen bot. [9] Ganz ähnlich wurde im Lauf der Zeit auch der Raub der deutschen Sammlungen bewertet, wie ein Brief des Komponisten Karl Friedrich Zelter an Goethe aus dem Jahr 1807 belegt: „Der einzige Trost, den man beim Anblicke solcher Dinge haben und geben kann, ist: daß das Gute für die Welt gehört, es sei, wo es sei, und daß wir dieser schönen Dinge unwürdig waren.“ [10]

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Im Oktober 1807 fand die Eröffnung der Ausstellung der in Deutschland geraubten Kunstwerke im Louvre statt. Die deutschsprachige Presse äußerte zwar vorsichtig eine gewisse Wehmut über den Verlust, jedoch versuchte man nun das Argument des kosmopolitischen Gedankens als positive Begleiterscheinung des Transfers auszulegen. Vielmehr ist auffällig, dass die deutschen Gelehrten Kontakt zu jener Person suchten, die für den Raub ihrer Kunst mitverantwortlich war. So wurde Dominique-Vivant Denon für seine museale Leistung gelobt und bewundert. [11] An dieser Beziehung ist ein weiterer Aspekt abzulesen: Die Geschichte des Geschmacks oder der Umgang der Deutschen mit der eigenen Kunst. Erst die Verschleppung der altdeutschen Werke nach Paris hatte ihnen die Aufmerksamkeit der Deutschen eingebracht. In Paris war die altdeutsche Kunst mit Begeisterung vom französischen Publikum aufgenommen worden und diese Resonanz von der deutschen Presse in die Heimat getragen worden. Dies verstärkte den Effekt, dass die vormals „vergessenen“ Kunstwerke nun für die Deutschen zu „nationalen Heiligtümern“ wurden. [12] In der Tagespresse ließ man diese Gefühle durch ein Gemälde sprechen – das Jüngste Gericht Memlings:

„Recht bekannt ward ich erst, als das Kriegsleid eine Menge Menschen (nach Paris) zusammendrängte. […] Ich müßte lügen, wenn ich von dieser Reise nicht grossen Nutzen gehabt hätte: erstens bekam ich die Gelegenheit, mich mit anderen Bildern zu messen und ich kam nicht übel dabei weg: zweitens begann man von mir zu forschen. […] es war meine eigene Auferstehung, und nun, da ich hier im Vaterlande vor aller Augen trete, verwundere ich mich, wie anders mich die Menschen sehen. […]“ [13]

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Mit der Aussicht auf einen Sieg über Frankreich lebte die Kunstraubdebatte 1814 unter den Deutschen wieder auf. Ihre Meinung hatte sich seit 1796 grundlegend geändert. Man befürwortete den Kunsttransfer nicht länger mit einem kosmopolitischen Ideal, sondern hielt mit dem Argument des nationalen Kulturerbes dagegen. [14] Bevorzugt rheinische Gelehrte setzten sich mit dieser Thematik auseinander und versuchten diese rhetorisch zu fassen. Der Kulturbesitz wurde ab diesem Zeitpunkt als „zu bewahrendes und weiterzugebendes Erbe“ definiert. [15]
 

Anmerkungen

[1] Bénédicte Savoy: Erzwungener Kulturtransfer – Die französische Beschlagnahmung von Kunstwerken in Deutschland 1794-1815, in: Sigrun Paas / Sabine Mertens (Hg.): Beutekunst unter Napoleon. Die „französische Schenkung“ an Mainz 1803, Mainz 2003, 137-144, hier: 137f.

[2] Hiltrud Kier: Das Kölner Museum zwischen Trikolore und Preußenadler, in: Dies. / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust II. Corpus-Band zu Kölner Gemäldesammlungen 1800-1860, Köln 1998, 9-23, hier: 11.

[3] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 187-223. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)

[4] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 5), 205.

[5] Kier: Kölner Museum (wie Anm. 4), 10.

[6] Kier: Kölner Museum (wie Anm. 4), 11.

[7] Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 199.

[8] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 7), 201.

[9] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 7), 225.

[10] Zitiert nach Savoy: Kulturtransfer (wie Anm. 1), 143.

[11] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 7), 122.

[12] Savoy: Kulturtransfer (wie Anm. 1), 143.

[13] Zitiert nach Savoy Kulturtransfer (wie Anm. 1), 143. Es bleibt anzumerken, dass das Jüngste Gericht Memlings ebenfalls erst durch einen Raub nach Danzig kam. Der Medici-Vertreter Angelo Tani hatte es 1470 in Auftrag gegeben. Als eigentlicher Standort war Florenz angedacht, welches der Altar jedoch nie erreichte. Das Transportschiff wurde durch den Hansekapitän Paul Benneke gekapert und der Altar nach Danzig verbracht. Hierzu: Paul Wescher: Kunstraub unter Napoleon, Berlin 1976, 102.

[14] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 7), 235.

[15] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 7), 245f.

Empfohlene Zitierweise
Miriam Cockx, Zeitgenössische Reaktionen, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Zeitgenössische Reaktionen (Datum des letzten Besuchs).