Wallrafs Konzept für eine Schulreform von 1786

Alexandra Nebelung

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Das Reformkonzept Ferdinand Franz Wallrafs ist nicht im Ganzen erhalten. Nur Bruchstücke lassen sich finden, das schrieb schon Leonard Ennen 1857 in seinem Buch über die rheinische Aufklärung. [1] Wallrafs Denkschrift trägt den sehr ausführlichen Titel „Entwurf zur Verbesserung des stadtkölnischen Schulwesens überhaupt, wodurch die Universität zu mehrerem Ansehen, die Studien in bessere Blüte und die Erziehung unter eine genaue Zucht und aneinhangende Obsorge gebracht wird, insbesondere aber die öffentliche Erziehung mit der privaten und die Erziehung des Bürgers mit dem Universitätswesen auf eine für das gemeine Beste zuträgliche Art verbunden, im ganzen auch für bessere Bequemlichkeit der studirenden Jugend, für die Achtung, die Salarien und nützlichere Ausbildung der Professoren selbst gesorgt und endlich auf den Fonds der dazu nötigen Kosten Bedacht genommen wird, wobei dennoch die Grundverfassung unserer Universität nicht zunahegetreten, sondern vielmehr ihrem Verfall vorgebeuget würde.“ [2] Es wird deutlich, dass Wallraf sich nicht nur eine Umstrukturierung des Lehrplans vornahm, sondern vielmehr das gesamte Bildungs- und Erziehungswesen Kölns reformieren wollte.

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Die Universitätslandschaft im Heiligen Römischen Reich war zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufgeteilt zwischen protestantischen und katholischen Universitäten. Ein Unterschied dabei war, dass viele der katholischen Universitäten in geistlicher Hand waren, wogegen die protestantischen meist von weltlichen Landesherren gegründet wurden. [3] Ein großes Vorbild für die protestantischen Reformuniversitäten war die in den 1730er Jahren gegründete Georg-August-Universität in Göttingen. Dort war die juristische Fakultät die bedeutendste, es gab keinen Vorrang der Theologie und die philosophische Fakultät bekam mehr Gewicht zugesprochen, wogegen sie anderenorts meist nur Basis für ein weitergehendes Studium war. [4] Daran nahmen sich auch einige katholische Fürsten ein Beispiel und setzten Reformen durch, so zum Beispiel an der Universität Mainz. [5] Die neuen Richtungen in Abgrenzung zum Humanismus des 16. Jahrhunderts, dessen Lehrpläne in Köln noch hochgehalten wurden, waren jetzt der Neuhumanismus mit seiner Verehrung des griechischen Altertums und der Philantropismus, der sich vom Altertum ab- und der Moderne zuwandte. [6] Wallraf, der in den Jahren zuvor im Reich umhergereist war und verschiedene Universitäten besucht hatte, versuchte in seinem Konzept die Traditionen Kölns mit den neuen Ideen zu vereinbaren. [7]

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Wallrafs Vorschläge spiegeln sein Verständnis von Bildung wider. Diese sollte kein Privileg der Vermögenden sein oder der Studenten. Bildung sollte allen Menschen zukommen, denn, so stellt er es in seiner Antrittsrede 1786 dar, nur dann würden sie Schlecht und Gut erkennen und sich letzterem zuwenden. Daher entwirft er weniger eine Reform für die Universität, als mehr eine Neuorganisation des gesamten Schulsystems, beginnend mit den Armen- und Pfarrschulen. [8] Alle Jungen sollten die Volksschule besuchen, von der aus sie dann unterschiedliche Wege einschlagen konnten. Entweder sie besuchten das Gymnasium als Vorbereitung auf das Studium oder eine Realschule, die sie auf bürgerliche Berufe wie Gewerbe und Handel vorbereiten sollte. [9] Dadurch würden die Kinder eine grundlegende Allgemeinbildung erlangen, denn die Unterrichtsinhalte sollten genormt und kontrolliert werden. [10] Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser geplanten Neuausrichtung war die Bedeutung des Lateinischen lediglich als Sprache für die Gelehrten. Sie sollte erst auf dem Gymnasium unterrichtet werden, da sie für alle anderen ohne Nutzen sei. [11] Deutsch als Muttersprache bekam so ein neues Gewicht, denn die bisherige Schulbildung war in erster Linie auf das Erlernen von Latein ausgelegt.

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Der Teil des Reformkonzeptes, der sich mit den Gymnasien befasst, ist in Leonard Ennens Buch „Zeitbilder“ abgedruckt. [12] Wallraf kritisiert zunächst die Lage und Zahl der Gymnasien: „Jedem Vernünftigen fällt es lächerlich in die Augen, daß in dieser weitschichtigen Stadt die drei Gymnasien schier auf einen Fleck hingebaut sind.“ [13] Die Not, die Schulen gleichmäßig über die Stadt zu verteilen, begründet Wallraf vor allem mit den Gefahren, die die Stadt für die Jugend auf ihrem Weg zur Schule bereithält. [14] Ebenso wären die Gymnasien mit der Zahl der Schüler überfordert und der Unterricht würde leiden. Wallraf schlägt eine Erweiterung auf sieben Gymnasien vor. [15] Diese seien jeweils gleich einzurichten und mit denselben Lehrplänen zu versehen. Das Gymnasium solle sechs Klassen haben, die durchnummeriert seien und im Wechsel die Lehrräume der Schule nutzten: „Die Humanisten-Klassen bekommen in gymnasio täglich 8 stunden, welche aber mit Studier- und Ruhestunden so abwechseln, daß zwischen zwei und zwei Lehrstunden jedesmal eine, den Älteren und Kindern zu eigener Bestimmung willfürige, Ruhestunde übrig bleibt, […].“ [16] Wichtig für dieses Konzept ist das Museum, in dem die Schüler Materialien finden, mit denen sie arbeiten können, wie Bücher und Landkarten. [17] Anstatt tagein, tagaus nur in ihren Klassen zu sitzen, sollten die Schüler mit ihren Lehrern im Sommer die Gelegenheit haben, öfters spazieren zu gehen, „[…] welcher Spaziergang die besondere Absicht haben müßte, auf besondere Gegenstände der Natur oder der Kunst die jungen Geister aufmerksam zu machen […].“ [18] Dem Sammler Wallraf, der ein Auge für die Schönheiten der Natur und der Kunst zu haben beanspruchte, war besonders daran gelegen, die Schüler in die Welt hinauszuführen, anstatt ihnen nur aus Lehrbüchern vorzulesen.

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Auch die Universität sollte verstärkt ihren Beitrag zur Allgemeinbildung leisten. Aus diesem Grund sollte es wieder öffentliche Vorlesungen geben, womit die Forschung und ihre Erkenntnisse nicht mehr nur den Gelehrten vorbehalten wären. [19] Um einen Anziehungspunkt mitten in Köln zu schaffen, sollten die dezentral liegenden Fakultäten in einem Gebäude zusammenkommen. Dieses Gebäude sollte das ehemalige Jesuitenkolleg sein. Als „Universitätspalast“ sollte sie alle Fakultäten, eine Bibliothek und Räume für Vorlesungen beinhalten. [20] Damit würde in Wallrafs Plänen dieser Palast zu einer Anlaufstelle für alle Gelehrten und Interessierten. Auch jene, die auf Hilfe und Bereitstellung von Instrumenten oder Materialien angewiesen wären, könne man dort unterstützen. [21] Abgesehen von den drei hohen Fakultäten der Medizin, Jura und Theologie sollte die Philosophische oder Artistenfakultät wieder ihren Platz an der Uni bekommen, die bisher von den Gymnasien kaum zu trennen war. [22] Daher wollte Wallraf einige Vorlesungen der Philosophie, mit den von ihm neu hinzugefügten Fächern der Ästhetik und Naturgeschichte sowie allgemeinbildende, „enzyklopädische Vorlesungen“ der Philosophischen Fakultät allein zuordnen. [23]

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Der Reformplan wurde in dieser Form nie in die Tat umgesetzt. Lediglich einige kleinere Veränderungen hat es gegeben. So erhielt Wallraf seine Professuren für Naturgeschichte und Ästhetik und ein Teil der Philosophievorlesungen wurde ab 1786 öffentlich abgehalten. [24] Ebenso gab es bis 1793 ein deutsches Vorlesungsverzeichnis, was auf Wallrafs Bemühen um eine neue Relevanz der deutschen Sprache zurückzuführen ist. [25] Kritik kam von den Gymnasien und den Fakultäten. Letztere beanstandeten, dass sie in Wallrafs Reformplan kaum erwähnt würden. In einem Schreiben, dass bei Lange abgedruckt ist, erklären die Vertreter der medizinischen Fakultät, dass der eigentliche Kern der Universität doch diese drei Fakultäten seien, deren Fortbestehen von einer Bonner Akademie bedroht sei. [26] Die Professoren der Gymnasien hielten am alten System fest und besonders der Regent des Tricoronatum zu jener Zeit, Johann Matthias Carrich (1735-1813), war ein Gegner Wallrafs. [27]

Anmerkungen

[1] Leonard Ennen: Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, 97. (Digitalisat Ennen: Zeitbilder)

[2] Zitiert nach Gunter Quarg: Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität, Köln / Weimar / Wien 1996, 12f.

[3] Harald Dickerhof: Die katholischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation des 18. Jahrhunderts, in: Notker Hammerstein (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995, 21-47, hier: 22 und Anton Schindling: Die protestantischen Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter der Aufklärung, in: Notker Hammerstein (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995, 9-19, hier: 12.

[4] Schindling: Die protestantischen Universitäten (wie Anm. 3), 17.

[5] Notker Hammerstein: Aufklärung und katholisches Reich. Untersuchungen zur Universitätsreform und Politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation im 18. Jahrhundert, Berlin 1977, 143f.

[6] Wilhelm Leyhausen: Das Höhere Schulwesen in der Stadt Köln zur Französischen Zeit (1794-1814), Bonn 1913, 2f.

[7] Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 96.

[8] Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 97.

[9] Edwin Lange: Ferdinand Franz Wallraf und die rheinische Aufklärung. Wallrafs Entwicklung, Tätigkeit und Bedeutung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Diss. Bonn 1949, 128.

[10] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 128.

[11] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 132.

[12] Siehe Anm. 1.

[13] Zitiert bei Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 98.

[14] Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 99.

[15] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 134f.

[16] Zitiert nach Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 102.

[17] Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 101.

[18] Zitiert nach Ennen: Zeitbilder (wie Anm. 1), 102.

[19] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 151.

[20] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 151f.

[21] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 151f.

[22] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 150.

[23] Quarg: Naturkunde (wie Anm. 2), 13.

[24] Quarg: Naturkunde (wie Anm. 2), 14.

[25] Quarg: Naturkunde (wie Anm. 2), 14.

[26] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 9), 161-163.

[27] Josef Kuckhoff: Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Köln 1931, 650.

Empfohlene Zitierweise
Alexandra Nebelung, Wallrafs Konzept für eine Schulreform von 1786, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Wallrafs Konzept für eine Schulreform (Datum des letzten Besuchs).