Wallraf-Rezeption im urbanen Raum – eine Bestandsaufnahme

Vanessa Skowronek

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Schon zu Lebzeiten wurde Ferdinand Franz Wallraf als erster und einziger Kölner mit dem Titel „Erzbürger“ der Stadt Köln geehrt. Seither sind fast 200 Jahre vergangen, doch sein Erbe prägt noch immer die Museumslandschaft Kölns. Unabhängig vom Fortbestand seiner Sammlung stellt sich die Frage, wie die Ehrungen und das Erinnern an den Kölner Erzbürger in städtischer Verantwortung umgesetzt worden sind, oder anders gefragt welche Rezeption Wallraf im urbanen Raum erfahren hat. Die Auswahl der unten aufgeführten Objekte folgt dem Merkmal der Öffentlichkeit: Berücksichtigung finden jene Elemente, deren Standort im öffentlichen Raum liegt und deren Finanzierung nicht privater Natur war, sondern durch das städtische Gemeinwesen oder eine öffentliche Gruppierung erfolgte. [1] Im Folgenden sollen die realisierten Erinnerungszeichen vorgestellt werden:

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Straßenschild zum Wallrafplatz in Köln 2016

Foto: Skowronek, CC BY-NC-ND 4.0

Der Wallrafplatz – Inmitten der Kölner Altstadt zwischen Kölner Dom und Hohe Straße liegt der Wallrafplatz. Auf Arnold Mercators (1537-1587) Stadtansicht von Köln aus dem Jahre 1571 ist an der Stelle des heutigen Platzes lediglich eine Kreuzung der folgenden vier aufeinander zulaufenden Straßen zu erkennen: „An der gulder Wagen“, „Voir der vetter hennen“, „Op hoigher smitten“ und „Am Howe“. Zu Lebzeiten Wallrafs befand sich dort die Dompropstei, die Wallraf als Wohnung diente. Rund fünf Jahre nach Wallrafs Tod wurde diese abgerissen, um Platz für einen Neubau des Domkapitulars zu schaffen. [2] Unter preußischer Regierung tauschte die Stadt jedoch das Grundstück, sodass der geplante Neubau andernorts (An der Burgmauer) entstand. [3] Der neugewonnene Raum, der entgegen der eigentlichen Absicht frei von Bebauung blieb, wurde 1830 zum Wallrafplatz. [4]

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Relief Wallrafs am Reiterdenkmal auf dem Heumarkt

Foto: Skowronek, CC BY-NC-ND 4.0

Das Relief am Reiterdenkmal auf dem Heumarkt – Das populäre Reiterdenkmal in der Kölner Innenstadt ist selbstredend in allererster Linie Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) gewidmet, dem preußischen König, der das Rheinland von der französischen Herrschaft „befreite“. Im Jahr 1855 beratschlagte ein Kölner Denkmalkomitee aus angesehenen Bürgern, die der Einladung des Kölner Oberbürgermeisters Hermann Joseph Strupp (1793-1870) gefolgt waren, über ein Denkmal für Friedrich Wilhelm III. [5] Der anschließende Wettbewerbsaufruf umfasste neben der Aufgabenstellung eines Herrscherdenkmals auch die Forderung nach Würdigung bedeutender Zeitgenossen sowie den Anspruch, den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der preußischen Rheinprovinz abzubilden. [6] Erst nach langer Diskussion ging der Auftrag im Jahr 1864 an Gustav Blaeser (1813-1874) und Hermann Schievelbein (1817-1867). Bei der feierlichen Enthüllung 1878 waren die beiden ausführenden Künstler bereits verstorben und die aktuelle Situation des Auftragsjahres nach 23-jähriger Ausführungszeit schon historisch. [7]

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Das Denkmal zeigt den Preußenkönig zu Pferde; den Sockel zieren 16 weitere Figuren. [8] Am Sockel befinden sich zudem Relieftafeln, die verschiedene Themengebiete behandeln: Die Südseite zeigt auf drei Reliefplatten den Personenkreis zum Thema Industrie (links), zur Baukunst (mittig) und zum Handel (rechts). Ferdinand Franz Wallraf findet sich u.a. mit Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), den Brüdern Boisserée und Eberhard von Groote (1789-1864) auf dem mittleren Relief der Südseite wieder, und somit im Kontext jener Männer, die sich um den Weiterbau des Domes verdient gemacht haben. Wallraf hat also, wenn auch in einer untergeordneten Rolle, einen Platz auf dem ersten Personendenkmal Kölns. [9]

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Statue Wallrafs vor dem MAKK (Museum für Angewandte Kunst Köln)

Foto: Skowronek, CC BY-NC-ND 4.0

Das Denkmal „An der Rechtsschule“ – Am 10. April 1900 wurden vor dem damaligen Gebäude des Wallraf-Richartz-Museums, in dem heute das Museum für Angewandte Kunst untergebracht ist, die Skulpturen von Ferdinand Franz Wallraf und Johann Heinrich Richartz (1796-1861) feierlich enthüllt. [10] Die beiden Bronzefiguren, die rund 60.000 Reichsmark kosteten, wurden aus zu diesem Zweck seit 1890 angesparten Überschüssen der Stadtkasse finanziert. [11] Sieben Jahre später schrieb der Rat der Stadt Köln einen Wettbewerb für zwei Standbilder für in Köln ansässige Künstler aus. [12] Der Kölner Künstler und Stadtverordnete Wilhelm Albermann (1835-1913) durfte seinen eingereichten Entwurf letztlich in leicht abgeänderter Form umsetzen. [13]

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Die Monumente zeigen Wallraf und Richartz als Sitzstatuen. Wallraf schlägt sein linkes Bein über das andere, die Gesichtszüge wirken ernst, seine Stirn ist in Falten gelegt. Wallraf ist anhand der umliegenden Attribute schnell als Sammler und Gelehrter zu erkennen: Sein rechter Arm stützt sich auf eine Sammelmappe (vermutlich für Graphiken), zu seinen Füßen liegen Bücher und Schriftrollen. [14] Das Durcheinander der umliegenden Sammlerobjekte mag ein Hinweis auf das „Wallrafsche Chaos“ [15] sein. Unter einem langen Mantel kommt ein Hemd zum Vorschein, das als Priestergewand gedeutet werden kann. [16]

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Figur Wallrafs am Kölner Ratsturm

Foto: Skowronek, CC BY-NC-ND 4.0

Die Figur am Ratsturm – Der historische Ratsturm der Stadt Köln wird von einem Ensemble von Figuren geschmückt, zu denen auch eine Abbildung Wallrafs gehört. Die Figur wurde vom Bildhauer Johann Peter Schilling gefertigt und ist im zweiten Obergeschoss auf der Nordseite des Turmes angebracht. [17] In direkter Nachbarschaft zu Wallraf befinden sich die Figuren von Johann Maria Farina (1685-1766), dem berühmten Parfümeur und Erfinder des „Eau de Cologne“, und von Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels (1754-1827) (ebenfalls von Johann Peter Schilling gefertigt), einem Bekannten Wallrafs, mit dem dieser zusammen unterrichtete. [18] Die Hintergründe der Anbringung dieser Bildnisse von Wallraf und seinen 123 MitstreiterInnen an den Turm bedürfen einer eigenen Ausführung.

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Da die Figur weit oben steht, sind die Proportionen an den Blick des untenstehenden Betrachters angepasst. [19] Der Kopf Wallrafs wirkt daher von vorn betrachtet unverhältnismäßig groß. Wallraf ist in fortgeschrittenem Alter dargestellt: Sein Haaransatz ist weit zurückgegangen und sein Gesicht weist tiefe Nasolabialfalten auf. Unter seinem rechten Arm klemmt eine Sammelmappe, zu seinen Füßen liegen Gemälde. [20] Ebenso wie bei der Ausführung von Albermanns Denkmal „An der Rechtsschule“ ist er so als Sammler zu erkennen – Feder und Schriftrolle weisen auf seinen Status als Gelehrter hin. Wallraf stützt sich mit der linken Hand auf ein Reliefbild mit der Inschrift „RICHARTZ“, das an den Stifter des Museumsbaus, Johann Heinrich Richartz, erinnern soll.

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Grabdenkmal (zerstört) – Ferdinand Franz Wallraf wurde auf dem maßgeblich von ihm gestalteten Melatenfriedhof bestattet. Das ursprüngliche Grabmal war „[n]ur ein einfacher Stein“. [21] Johann Heinrich Richartz, der 1861 kurz vor der Fertigstellung des von ihm gestifteten Museumsgebäudes verstarb, wurde neben Wallraf beigesetzt. 43 Jahre nach dem Tod des Professors, im Jahre 1867, entstand ein Grabdenkmal von Anton Werres (1830-1900), das beide Wohltäter der Stadt berücksichtigte. Die Kosten trug die Stadt. [22] Obwohl Richartz im Todesjahr Wallrafs, den er wohl nicht persönlich kannte, erst 27 Jahre alt war, ist bei der Darstellung der beiden Figuren kaum ein Altersunterschied erkennbar. [23] Wallraf und Richartz stehen nebeneinander in freundschaftlicher Pose und reichen sich die Hände. Wallraf ist anhand seiner Kleidung als Geistlicher zu erkennen, die Figur von Richartz hält den Plan für den Museumsbau in der Hand. Das Grabdenkmal wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Heute erinnert auf dem Melatenfriedhof ein schlichter gemeinsamer Grabstein an Wallraf und Richartz.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. Iris Benner: Kölner Denkmäler 1871-1918. Aspekte bürgerlicher Kultur zwischen Kunst und Politik, Köln 2003, 9. Keine Berücksichtigung findet daher die Büste Wallrafs im Foyer des Wallraf-Richartz-Museums.

[2] Vgl. Joseph Klersch: Von der Reichsstadt zur Großstadt. Stadtbild und Wirtschaft in Köln 1794-1860, Nachdruck der Ausgabe Köln 1925, Köln 1994, 48.

[3] Vgl. Leonard Ennen: Vorwort, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, III-XXXII, hier: XXIX. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)

[4] Vgl. Klersch: Reichsstadt (wie Anm. 2), 48.

[5] Vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 64f.

[6] In diesem Sinne ist es ein Personen- und Ereignisdenkmal zugleich, vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 64.

[7] Vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 64.

[8] Dass sich auf dem Sockel mehr (demokratisch gesinnte) Zivil- als Militärpersonen befinden, interpretiert Hiltrud Kier als ein unterschwellig provokantes Programm der Kölner dem König gegenüber, vgl. Hiltrud Kier: Heumarktdenkmal, in: Ralf Beines / Walter Geis / Ulrich Krings (Hg.): Köln: Das Reiterdenkmal für König Friedrich Wilhelm III. von Preußen auf dem Heumarkt, Köln 2004, 482-485, hier: 483. Iris Benner widerspricht der Idee der subversiven Überlistung des preußischen Staates, da diese als Sockelfiguren zu Fuße des Königs eine deutlich untergeordnete Rolle spielten. Zudem seien die entsprechenden Personen in Berlin selbst mit Denkmälern geehrt, vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 64.

[9] Vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 63f.

[10] Vgl. Werner Schmidt: Der Bildhauer Wilhelm Albermann (1835-1913). Leben und Werk, Köln 2001, 150.

[11] Götz Czymmek: Ferdinand Franz Wallraf im Bild, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 69 (2008), 271-302, hier: 293.

[12] Vgl. Benner: Denkmäler (wie Anm. 1), 160.

[13] Beanstandet wurde zunächst die fehlende Porträtähnlichkeit und auch die Ausführung des Sockels wurde abgeändert. Heute stehen beide Statuen auf einfach gestalteten Sockeln, da die Originale während des Zweiten Weltkriegs beschädigt wurden. Vgl. Schmidt: Bildhauer (wie Anm. 10), 150.

[14] Vgl. Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 294.

[15] Der Begriff „Wallrafsches Chaos“ geht auf eine Beurteilung durch Johann Wolfgang von Goethe zurück. In der Literatur wird der Begriff gar zum geflügelten Wort für die unkatalogisierte und unsortierte Sammlung Wallrafs.

[16] So zumindest Czymmek, der in dem Hemd den Saum der Soutane „als diskretes Zeichen für Wallrafs Priesterwürde“ erkennt, siehe Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 294.

[17] Johann Peter Schilling wurde am 20.4.1952 in Schwandorf (Bayern) geboren, er lebt und arbeitet seit 1973 in Köln, vgl. Vera Bachmann: Künstlerbiographien, in: Hiltrud Kier / Bernd Ernsting / Urich Krings (Hg.): Köln: Der Ratsturm. Seine Geschichte und sein Figurenprogramm, Köln 1996, 654-671, hier: 667.

[18] Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 33f.

[19] Vgl. Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 294.

[20] Czymmek erkennt in seinem Aufsatz keine Gemälde, sondern Bücher zu Füßen des Professors, vgl. Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 296.

[21] Leonard Ennen: Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, 390. (Digitalisat Ennen: Zeitbilder) 

[22] Vgl. Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 286.

[23] Vgl. Czymmek: Wallraf (wie Anm. 11), 286.

Empfohlene Zitierweise
Vanessa Skowronek, Wallraf-Rezeption im urbanen Raum – eine Bestandsaufnahme, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Wallraf-Rezeption Bestandsaufnahme (Datum des letzten Besuchs).