Die Bibliotheken der Artistenfakultät

Dominique Nadine Walraevens

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Die Bibliothek der Artistenfakultät war bis 1577 die einzige Bibliothek in Köln. [1] Die medizinische, theologische und juristische Fakultät besaßen keine eigenständigen Bibliotheken. Es gab einige Versuche dies zu ändern, aber bis Anfang des 15. Jahrhunderts wurde der Aufbau einer Universitäts- und Stadtbibliothek nicht realisiert. [2]

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Der Standort der Artistenfakultät befand sich gegenüber dem Dominikanerkloster, welches in der Stolkgasse ansässig war. [3] An der Straße wurde von 1420 bis 1427 ein neues Gebäude errichtet. Im Obergeschoss befand sich unter anderem ein Bibliotheksraum, der mit 95 Quadratmetern der größte Raum war. Bedingt durch den zu geringen Bücherbestand konnte jedoch zunächst keine Bibliothek gegründet werden. [4] Neben den wenigen vorhandenen Büchern bildete das Vermächtnis des Theologen Dietrich Kerkering von Münster, der testamentarisch verfügt hatte, dass nach seinem Tod 52 Werke aus seinem Besitz an die Fakultät gehen sollten, den Grundstock der Bibliothek. [5]

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Im Laufe der Zeit sollte sich der Bestand so stark vergrößern, dass sich die Wahl des Raumes im Obergeschoss als vorausschauend erwies. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts kam es zu ungefähr 22 Schenkungen, die meistens von theologischen Gelehrten getätigt wurden. Nähere Angaben zu den Büchern sind jedoch nicht bekannt. [6] Zusätzlich zu Bücherschenkungen wurde auch auf anderen Wegen versucht, den Bücherbestand zu erweitern. Jeder Magister hatte die Pflicht, mindestens ein Buch der Sammlung zuteil werden zu lassen. Außerdem hatte die Fakultät verschiedene andere Möglichkeiten Geld für den Ankauf von weiteren Lehrbüchern zu beschaffen: Dies geschah durch Geldstrafen und die Gebühren, die durch die Immatrikulationen eingenommen wurden. Zudem wurden seit Ende des Jahres 1447 Bücher, die nicht mehr in Gebrauch waren, verkauft. Der Gewinn aus diesem Verkauf wurde in neue Bücher investiert. [7]

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Ab 1427 wurde die Bibliothek in eine Präsenzbibliothek umgewandelt. Die bis dahin üblichen Buchausleihen wurden nur noch in Ausnahmefällen zugelassen. Diese Umstellung scheint den Mitgliedern der Fakultät zunächst schwer gefallen zu sein. [8] Am Thomas-Tag eines jeden Jahres sollte der Bibliothekar alle Bücher, die dennoch ausgeliehen worden waren, zurückbeordern, um eine Prüfung des Bestandes durchzuführen. [9] Die Bibliotheksaufsicht führte einer der älteren Magister. [10] Die Bücher der Bibliothek blieben den Magistern und Professoren vorbehalten. Die Studenten durften diese nicht benutzen. Stattdessen standen ihnen die Büchersammlungen der Bursen zur Verfügung. [11]

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Der Raum, in dem die Bibliothek ihren Sitz hatte, war durch das stetige Anwachsen des Bücherbestandes schnell nicht mehr groß genug. 1467 wurde das Platzproblem durch die Einbeziehung eines Nachbarraums vorerst gelöst. Die dauernde Brandgefahr, die durch den in der Küche im Untergeschoss befindlichen Kamin, der auch die oberen Räume heizte, geschürt wurde, blieb allerdings bestehen. [12]

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Skizze des Bibliotheksraumes der Artistenfakultät im Jahr 1474

Bild: ©USB Köln/ gemeinfrei

Über den Bestand und Grundriss der Bibliothek gibt ein Verzeichnis aus dem Jahr 1474 Aufschluss, das für Besucher der Bibliothek zur Orientierung am Eingang hing. [13] „Es ist durch den glücklichen Umstand erhalten geblieben, daß ein Buchbinder es in vier gleiche Teile zerschnitt und diese als Vorsatzblätter beim Einbinden der ,Summa theologica‘ des Franziskaners Alexander von Hales benutzte.“ [14] In der Bibliothek gab es Pulte in verschiedenen Größen, auf denen sich bis zu 44 Bücher befinden konnten, die nach mittelalterlichem Vorbild angekettet waren. [15] „Die Titeleinträge sind nach Pulten durch rote oder blaue Initialen und je Pult durch ebensolche Paragraphenzeichen voneinander abgesetzt und enthalten kurze Angaben über den Hauptinhalt mit Verfasser- und Werknamen, manchmal auch über Beschreibstoff, Einband oder andere Besonderheiten.“ [16] Alle Werke zusammengezählt umfasste die Bibliothek mindestens 456 Bücher. Der Bestand war damit im „Vergleich mit anderen Universitäten [...] durchaus ansehnlich [...]“. [17]

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Da die meisten Stiftungen, die an die Artistenfakultät gingen, von Theologen stammten, verwundert es nicht, dass der Großteil der Bücher (67 %) theologische und philosophische Themen behandelt. [18] In weitaus geringerem Maße waren medizinische (8,3 %), juristische (7,6 %) und antike Schriften (9 %) vorhanden. Nachschlagewerke und naturwissenschaftliche Texte umfassten 5,2 % der Bibliothek. Den übrigen Anteil (2,9 %) machten „historisch-politische und poetische Werke des Mittelalters“ aus. [19] Hagiographische Literatur und Schulbücher befanden sich nicht im Bestand der Bibliothek. Die Schulbücher werden in den Bursen-Bibliotheken gelegen haben. [20] Dabei ist besonders erwähnenswert, dass keines dieser Bücher gedruckt war. Fünf Jahre später – im Jahr 1479 – ist das erste gedruckte Buch im Bestand der Bibliothek nachweisbar. [21]

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Bis in den Herbst 1482 war der Bibliotheksbestand so weit angewachsen, dass ein Umbau nötig wurde. Zwei angrenzende Räume wurden der Bibliothek hinzugefügt. Weitere Kammern des Obergeschosses beherbergten nun eine neu eingerichtete Kapelle. [22] Sehr wahrscheinlich wurden nach diesem Umbau die Pulte verändert aufgestellt, weswegen das Verzeichnis von 1474 für die Zeit nach 1482 nicht mehr als gültig angesehen werden kann. [23]

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Am Ende des 15. Jahrhunderts schoss die Zahl der Studenten an der Kölner Universität stark in die Höhe. Auf Grund der damit verbundenen Einnahmen hatte die Kölner Universität genug Geld, um Teile der Bibliothek ausbessern zu lassen. So konnte nun die Küche nach draußen verlegt werden, um das Risiko eines Feuers zu minimieren. [24] Zwischen 1486 und 1489 wurden vier wichtige Lehrbücher angeschafft und „immer wieder Geld für das Beschriften, Binden [und] Anketten der Bände“ [25] ausgegeben. [26] Um der steigenden Studentenzahl gerecht zu werden, wurde auch der Lehrkörper weiter ausgebaut. Die damit ansteigende Benutzerzahl der Bibliothek sollte durch eine Hausordnung reglementiert werden: Diese wurde im Dezember 1489 verfügt. [27]

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Im 16. Jahrhundert scheint das „Engagement und [der] Einsatz für den Bücherschatz“ [28] geschwunden zu sein. In den neuen Statuten von 1523 spielt die Bibliothek kaum noch eine Rolle. [29] 1577 wurde beschlossen die Bibliothek gänzlich aufzulösen. Ihr Bestand wurde zu gleichen Teilen aufgeteilt: Ein Drittel bekam das Gymnasium Laurentianum, ein weiteres das Gymnasium Montanum und das letzte Drittel ging an das Gymnasium Tricoronatum. Die Gymnasien hatten schon seit einiger Zeit den Unterricht der Artistenfakultät übernommen. Die Lehre war 1577 von den Bursen auf die Gymnasien übergegangen. Dieser Umstand machte eine Bibliothek, die alleine für die Artistenfakultät zuständig war, überflüssig. [30]

 

Anmerkungen

[1] Vgl. Jürgen Stohlmann: Insignis illic biblotheca asservatur. Die Kölner Professoren und ihre Bibliothek in der Frühzeit der Universität, in: Albert Zimmermann (Hg.): Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, Berlin / New York 1989, 433-466, hier: 433; Hermann Keussen: Die alte Kölner Universitätsbibliothek, in: Jahrbuch des kölnischen Geschichtsvereins 11 (1929), 138-190, hier: 138. (Digitalisat Keussen: Universitätsbibliothek)

[2] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 433.

[3] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 435; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 138f.

[4] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 436f.

[5] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 437f.

[6] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 438f.

[7] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 441; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 159.

[8] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 446.

[9] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 447.

[10] Vgl. Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 152f.

[11] Vgl. Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 152; Erich Meuthen: Kölner Universitätgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln / Wien 1988, 76. Siehe zum Thema Bursen: Erich Meuthen: Die Artesfakultät der alten Kölner Universität, in: Albert Zimmermann (Hg.): Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, Berlin / New York 1989, 366-393.

[12] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 449f.; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 139.

[13] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 451; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 142. Das ganze Bücherverzeichnis findet sich abgedruckt bei Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 163-183. Ebd., 183-189 listet den Bücherzuwachs seit 1474 auf.

[14] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 451.

[15] Vgl. Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 143, 145.

[16] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 455.

[17] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 455.

[18] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 456; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 162.

[19] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 457.

[20] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 457.

[21] Vgl. Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 146; Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 457.

[22] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 458f.; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 140.

[23] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 459.

[24] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 461.

[25] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 462.

[26] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 461f.

[27] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 462-464.

[28] Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 465.

[29] Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 140.

[30] Vgl. Stohlmann: Insignis (wie Anm. 1), 465f.; Keussen: Universitätsbibliothek (wie Anm. 1), 141; Meuthen: Universitätsgeschichte 1 (wie Anm. 10), 77, 98f.

Empfohlene Zitierweise
Dominique Nadine Walraevens, Die Bibliotheken der Artistenfakultät, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Die Bibliotheken der Artistenfakultät (Datum des letzten Besuchs).