Erwerbstrategien in Bezug auf Wallrafs Buchbesitz

Marius von Knobelsdorff

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Den Beginn der Büchersammlung von Ferdinand Franz Wallraf kann man auf das Jahr 1763 datieren. In diesem Jahr erhielt „der 15-jährige Gymnasiast als Belohnung für seine schulischen Leistungen“ einen Apokryphen-Kommentar aus dem Jahr 1634. [1] Seit 1771 ist nachweisbar, dass Wallraf erst spärlich, dann kontinuierlich Bücher erwarb und dies bis 1823, dem Jahr vor seinem Tod, fortsetzte.

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Insgesamt kann, einer ausführlichen Aufschlüsselung Paul Berthold Rupps von 1976 folgend, für ungefähr 41 % von den 14.834 Handschriften, Inkunabeln und Büchern, die Wallraf besaß, und damit 6.209 Einheiten, der Kauf durch Rechnungen nachgewiesen werden. Von diesen kann der Großteil (5.425 Einheiten) auf das Jahr genau belegt werden. Den Rechnungen zufolge erwarb Wallraf die Schriften von Antiquaren (5.655 Einheiten) und Buchhändlern (554 Einheiten). [2]

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Von den 59 % der Bucheinheiten, deren Erwerb nicht nachgewiesen werden kann, wird der Hauptteil wohl bei antiquarischen Auktionen erworben worden sein. So sind neben den Katalogen von Auktionen, bei denen Wallraf tatsächlich Bücher erstanden hat, noch Kataloge von weiteren 75 kölnischen Auktionen in Wallrafs Besitz gewesen. Es ist also wahrscheinlich, dass er auch dort Bücher erwarb. [3] Weiterhin wechselten durch die Säkularisation nach 1802 direkt Bücher von Klöstern, die zu geringen Preisen verkauft wurden, in seinen Besitz. Ob er – wie andere Sammler – auch Bücher aus Klöstern geraubt hat, kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden, ist aber wenig wahrscheinlich. [4] Mit Blick auf die Erwerbungen wertvoller Bücher im Zuge von Auktionen und den Folgen der Säkularisation hält Gunter Quarg fest: „Seine [Wallrafs] Büchersammlung erhielt auf diese Weise einen nahezu universalen Charakter.“ [5] Die Sammlung wird zudem durch Bücher komplettiert, die man Wallraf als Geschenk verehrt hat oder die er mit anderen Sammlern tauschte. [6]

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Bucherwerbungen von Ferdinand Franz Wallraf

Bild: Knobelsdorff nach Zahlen von Rupp (siehe Anm. 7)

Es sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es bei den hier wiedergegebenen Zahlen [7], die Rupp zusammengestellt hat, nur um die 41% der Erwerbungen geht, die sich durch Rechnungen belegen und datieren lassen. Die übrigen 59% lassen sich nicht klar zuordnen – die Interpretation konkreter Zahlen muss daher unter gewissen Vorbehalten geschehen. [8] Im Folgenden werden die von Rupp ermittelten Erwerbszahlen auf die rekonstruierbaren Lebensverhältnisse Wallrafs bezogen.

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Die Zahl der Erwerbungen, die Wallraf pro Jahr vornimmt, kann gut durch seine persönliche finanzielle Situation und die allgemeine politische Lage erklärt werden. Ab 1769 war Wallraf als Professor am Gymnasium Montanum tätig. Von 1771 bis 1775 kaufte er, wie der Aufstellung Rupps zu entnehmen ist, erstmals 45 Bücher, wenn auch in unregelmäßigen Abständen. Später kam es wegen seines unerwünschten Reformeifers zu (finanziellen) Streitigkeiten zwischen ihm und dem Gymnasium, was dazu führte, dass er zehn Jahre lang auf sein Gehalt verzichten musste. [9] In diesem Zeitraum erwarb er nur im Jahr 1782 insgesamt 46 Bücher. [10]

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Mit dem Lehrstuhl für Botanik, den Wallraf ab 1784 an der Kölner Universität innehatte, war gleichzeitig eine Pfründe an St. Maria im Kapitol verbunden. Zwei Jahre später übernahm er zudem die Professuren für Naturgeschichte und Ästhetik. [11] Dies verbesserte seine finanziellen Möglichkeiten so sehr, dass er neue Bücher kaufen konnte. Von 1785 bis 1793 erwarb er insgesamt 745 Stück, von 1794 bis 1797 allerdings nur noch 20. Hierfür wird wohl die schwierige politische Situation der ersten Jahre der französischen Besatzung Kölns und des Ersten Koalitionskriegs zwischen Frankreich und seinen europäischen Gegnermächten, der auch am Rhein stattfand, maßgeblich gewesen sein. [12]

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Seit dem Jahr 1798 erwarb Wallraf wieder in größerem Umfang Bücher. [13] Nach der Auflösung der alten Kölner Universität war er bei den Nachfolgeeinrichtungen – der Zentralschule und der Sekundarschule – als Professor für Geschichte und „Schöne Künste“ tätig. Hierbei erhielt er zunächst ein Gehalt von 2.500 Francs. [14] Dies ermöglichte ihm den Kauf von Büchern, die zu dieser Zeit in Folge der Säkularisation in großer Stückzahl auf den Markt kamen. [15] So gelang es Wallraf von 1798 bis 1805 insgesamt 2.326 Bücher zu erwerben. [16]

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Mit der Verschlechterung von Wallrafs finanzieller Lage – nach einer Reform des Schulwesens erhielt er nur noch zwischen 1.000 und 1.400 Francs [17] – ging auch die Zahl seiner Büchererwerbungen zurück. Zwischen 1806 und 1813 kaufte er nur noch 640 Bücher, davon allerdings 274 – mehr als ein Drittel – im Jahr 1808. Rupp erklärt diesen „Ausreißer“ mit Wallrafs Hoffnung, seine Sammlung verkaufen zu können. [18] Mit der preußischen Zeit verbesserte sich Wallrafs finanzielle Situation wieder: Er erhielt nun als Vizedirektor des Gymnasiums 2.400 Francs, seit 1818 bekam er schließlich infolge seiner Abmachung mit der Stadt 4.000 Francs. [19] Dadurch konnte er stärker auf dem Büchermarkt tätig werden: Von 1815 bis 1823 ist die Anschaffung von 1.603 Büchern bezeugt. [20]

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Wallrafs Bücherkäufe – um hier ein erstes Ergebnis festzuhalten – geschahen also in deutlichen Schüben mit wechselndem Engagement. Dabei lässt sich erkennen, dass Wallraf immer dann viele Bücher gekauft hat, wenn seine finanziellen Mittel einerseits und die allgemeine politische Lage andererseits dies zuließen. Über diesen grundsätzlichen Befund hinausgehend ist es aufschlussreich, Wallrafs Bezugsquellen genauer zu betrachten.

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Wallraf kaufte seine Bücher nicht nur in Köln, sondern auch bei auswärtigen Buchhandlungen. Hierfür nutzte er einerseits Kataloge, die zur Frankfurter und Leipziger Messe erschienen, andererseits aber auch Anzeigen aus Zeitschriften wie der Literarischen Zeitung. [21] Bemerkenswert ist, dass er die Bücher von auswärtigen Buchhandlungen häufig zu den günstigeren Messepreisen erhielt, wodurch sie vermutlich preiswerter waren als in Köln. [22] Darüber hinaus scheint Wallraf auch selbst für Buchhandlungen tätig gewesen zu sein, in dem er ihnen Aufträge verschaffte, wodurch er wiederum Rabatte erhielt. [23]

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Bei Antiquariaten kaufte Wallraf wie oben beschrieben den Großteil seiner Bücher, nämlich ungefähr 90 Prozent. Dies geschah oft bei Auktionen, was sich auch an der Anzahl der von Wallraf erworbenen Auktionskataloge erkennen lässt. Die Gebote auf die verzeichneten Bücher wurden häufig schriftlich vorgenommen. Bei Auktionen von Kölner Antiquariaten beteiligte Wallraf sich direkt, bei auswärtigen Auktionen lief das Geschäft über einen Kölner Antiquar ab. Insgesamt kann nachgewiesen werden, dass Wallraf bei 71 kölnischen und 18 auswärtigen Auktionen Bücher gekauft hat [24], die beispielsweise in Amsterdam, Utrecht, Lüttich, Kleve, Duisburg, Gießen und Frankfurt am Main stattfanden. [25] Weiterhin kaufte Wallraf auch bei den Antiquaren Bücher im Freihandverkauf, die ihm entweder direkt angeboten wurden oder für die er ein Sonderkaufrecht erhielt, wenn sie bei Auktionen nicht verkauft worden waren. [26]

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Zusammenfassend ist zu sagen, dass Wallraf sowohl bei kölnischen als auch bei auswärtigen Buchhandlungen und Antiquariaten gekauft und sich außerdem häufig an Auktionen beteiligt hat. Hierbei hat er offenbar darauf geachtet, die Bücher günstig zu erwerben oder sich gesonderte Angebote zu verschaffen. Als regelmäßiger Käufer gelang es ihm häufig, gute Bedingungen auszuhandeln und von längeren Fristen und Rabatten zu profitieren. Teilweise erreichte er dies, indem er selbst für die Buchhandlungen tätig wurde. Dennoch kam er regelmäßig in finanzielle Schwierigkeiten, aus denen Mahnungen resultierten. Auf einer qualitativen Ebene nimmt Gunter Quarg eine Bewertung der Büchersammlung Wallrafs vor, indem er bemerkt, man müsse „anerkennend feststellen, daß sie, wie auch andere seiner Sammlungen, mit großer Sachkenntnis und einem Gespür für Seltenheiten erworben wurden, wenn auch der Erhaltungszustand manchmal die geringen finanziellen Möglichkeiten ihres Besitzers erahnen lässt.“ [27] Diese Aussage ergänzt die hier dargestellten Möglichkeiten und Strategien Wallrafs beim Büchererwerb in anschaulicher Weise.

 

Anmerkungen

[1] Gunter Quarg: „Ganz Köln steckt voller Bücherschätze“. Von der Ratsbibliothek zur Universitäts- und Stadtbibliothek 1602-2002, Köln 2002, 24, Gabriele Golsch: Zur Systematik der Bibliothek Wallraf, in: Anne Bonnermann et al. (Hg.): Zwischen antiquarischer Gelehrsamkeit und Aufklärung. Die Bibliothek des Kölner Universitätsrektors Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824). Begleitband zur Ausstellung ‚Zwischen Antiquarischer Gelehrsamkeit und Aufklärung‘, 3. Mai – 30. Juni 2006, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Köln 2006, 49-60, hier: 49.

[2] Vgl. Paul Berthold Rupp: Die Bibliothek Ferdinand Franz Wallrafs (1748-1824). Entstehung und Fortbestand, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 47 (1976), 47-114, hier: 53f.

[3] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 61.

[4] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 62.

[5] Gunter Quarg: Ferdinand Franz Wallraf (1748 - 1824), in: Gernot Gabel / Wolfgang Schmitz (Hg.): Kölner Sammler und ihre Bücherkollektionen in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Gelehrte, Diplomaten, Unternehmer, Köln 2003, 11-20, hier: 17.

[6] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 62f.

[7] Eigene Darstellung als Diagramm nach Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 108f.

[8] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 108 und 61.

[9] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 48, FN 6.

[10] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 108 u. auch 54.

[11] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 48; Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 10f.

[12] Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 54.

[13] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 55.

[14] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 48. Deeters gibt an, dass Wallraf den Lehrstuhl für Geschichte abgelehnt habe: Deeters: Wallraf (wie Anm. 11), 51.

[15] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 55.

[16] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 108.

[17] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 48.

[18] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 55f.

[19] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 48f.

[20] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 109.

[21] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 56f.

[22] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 57.

[23] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 57f.

[24] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 58f. Vgl., dazu auch die namentliche Zusammenstellung Kölner Antiquare, die als Auktionatoren fungiert haben, ebd., 110-114.

[25] Vgl. die Zusammenstellung der Orte Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 110.

[26] Vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 2), 59-61.

[27] Quarg: Wallraf (wie Anm. 5), 19.

Empfohlene Zitierweise
Marius von Knobelsdorff, Erwerbsstrategien in Bezug auf Wallrafs Buchbesitz, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Wallrafs Erwerbsstrategien (Datum des letzten Besuchs).