Kunstraub im historischen Kontext
Miriam Cockx
<1>
„Vae victis“ – „wehe den Besiegten“: Dieser Grundsatz hatte bereits im alten Europa seine Gültigkeit und verdeutlicht, dass Kriege seit jeher die größte Bedrohung für Kulturgut darstellten und dass das Kriegsbeuterecht dem Sieger oblag.
<2>
In der Antike war der Kunstraub noch stark von religiösen Motiven getrieben. Denn mit dem Raub der dem Kult geweihten Kunstdenkmäler wurde den Feinden auch der Schutz ihrer Götter entzogen. Als mit der Zeit Kunstwerke aus wertvolleren Materialien wie etwa Gold und Elfenbein angefertigt wurden, beispielsweise die Kolossalstatuen des olympischen Zeus von Phidias, wurde auch Habgier zu einem grundlegenden Motiv für den Raub.
<3>
Die Epoche der römischen Republik sowie die darauffolgende Kaiserzeit spielt im Zusammenhang mit Kunstraub eine wichtige Rolle. Verbunden mit der Intention des Siegerpreises, die hinter dem Raub eines Kunstwerkes stand, wurde dieser zunehmend als äußerliche Manifestation der Herrschaft angesehen. Die Inszenierung der Kunstwerke während der Triumphzüge der Feldherren und ihre öffentliche Zurschaustellung festigten die Erinnerungen an den Sieg. So verweist Livius darauf, dass Kunst zur äußeren Darstellung und Bekräftigung der römischen Herrschaft diente und daher der imperialistische Geist die Haltung der Römer im Bezug auf die Kunst bestimmte.
<4>
Vor allem Kaiser Nero eignete sich zahllose wertvolle griechische Kunstschätze an. Bei Grabungen in den Ruinen seiner Sommervilla fand man bekannte Skulpturen wie die hellenistische Figur des Mädchens von Antium, den sterbenden Gallier aus der Schule von Pergamon und den Apoll von Belvedere. Wie das Beispiel der Villa Hadriana bezeugt, säumten bald ganze Skulpturengalerien die Innenhöfe wohlhabender Römer.
Apoll von Belvedere
Skulpturengalerie der Villa Hadriana
<5>
Die Französische Revolution bildete eine Zäsur in der fürstlichen Einstellung des Absolutismus zur Kunstpolitik. Kunst erfuhr eine neue Wertschätzung, die in der Eröffnung des Musée Central des arts im Louvre gipfelte: War Kunst einst das Privileg einer elitären Gruppe gewesen, sollte sie nun dem ganzen Volk zugänglich gemacht werden. In dieser Zeit entwickelte sich eine Ideologie, die im Kaisertum Napoleons fortleben sollte. Die Kunstpolitik basierte auf der Vorstellung von einem Frankreich, das „an der Spitze des Fortschritts“ stand und demnach allen übrigen Völkern überlegen war.
<6>
„Die Armee des Nordens drang mit Feuer und Schwert in die Mitte der Tyrannen und ihrer Anhänger vor, aber sie schützte sorgfältig die zahlreichen Meisterwerke der Kunst, welche die Despoten in ihrer überstürzten Flucht zurückließen. Zu lange waren diese Meisterwerke durch den Anblick der Sklaverei beschmutzt worden. Im Herzen der freien Völker sollen diese Werke berühmter Männer ihre Ruhe finden […] Nicht länger befinden sich diese unsterblichen Werke in fremdem Land; heute sind sie im Vaterland der Künste und des Genies, der Freiheit und Gleichheit, in der französischen Republik angekommen […].“
<7>
Hieran schloss sich nun ein vom französischen Staat organisierter Kunstraub an, der 1794 begann und durch Kunstsachverständige und die französischen Truppen ausgeführt wurde. Besonders in Deutschland und Österreich betrieben die Truppen seit 1796 Kunstdiebstahl in großem Stil. Wiederholt drangen sie über den Rhein ins Land vor. Legitimiert wurde der Kunstraub seit 1800 erstmalig unter dem in Süddeutschland tätigen Kunstkommissar François-Marie Neveu mit dem Anspruch enzyklopädischer Vollständigkeit.
Anmerkungen
Empfohlene Zitierweise
Miriam Cockx, Kunstraub im historischen Kontext, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Kunstraub im historischen Kontext (Datum des letzten Besuchs).