Kunstraub im historischen Kontext

Miriam Cockx

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„Vae victis“ – „wehe den Besiegten“: Dieser Grundsatz hatte bereits im alten Europa seine Gültigkeit und verdeutlicht, dass Kriege seit jeher die größte Bedrohung für Kulturgut darstellten und dass das Kriegsbeuterecht dem Sieger oblag. [1] Kunstraub hat Tradition und spiegelt eine aktuelle Problematik wider, die ihre historischen Vorbilder in der Antike hat. Der Raub von religiösen oder national bedeutenden Kunstwerken zielte darauf ab, die kulturelle und politische Identität eines Volkes zu verletzen und die Überlegenheit des Siegers zu demonstrieren. Die systematische Plünderung von Kunst wurde so Teil einer durchdachten staatlichen Kulturpolitik, die in der Neuzeit ihren bekanntesten Vertreter in der Französischen Revolution und im Kaisertum Napoleons fand. Die aggressive Aneignung von Kunstwerken unterlag einem ideologischen Rechtfertigungskonzept, das später, während des Zweiten Weltkriegs, in einem weitaus extremeren Ausmaß adaptiert wurde. [2]

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Statuen der sogenannten Tyrannenmörder

Bild: ©Wikimedia Commons/ CC BY 2.0

In der Antike war der Kunstraub noch stark von religiösen Motiven getrieben. Denn mit dem Raub der dem Kult geweihten Kunstdenkmäler wurde den Feinden auch der Schutz ihrer Götter entzogen. Als mit der Zeit Kunstwerke aus wertvolleren Materialien wie etwa Gold und Elfenbein angefertigt wurden, beispielsweise die Kolossalstatuen des olympischen Zeus von Phidias, wurde auch Habgier zu einem grundlegenden Motiv für den Raub. [3] In antiken Schriften ist Kunstraub seit jeher bezeugt. So berichtet Herodot vom persischen König Xerxes, der 479 v. Chr. mit seinem Heer in Athen einfiel und nach der Eroberung unter anderem die Statuen der sogenannten Tyrannenmörder, Harmodios und Aristogeiton, in die persische Hauptstadt Susa mitnahm. [4] Dieses Monument, dessen ursprünglicher Aufstellungsort zwischen Agora und Akropolis lag, war von den Bürgern Athens als Denkmal des Beginns der attischen Demokratie in Auftrag gegeben worden und diente der Repräsentation ihrer Kulturauffassung. [5] Der Raub der Tyrannenmörder ist nur ein Beispiel dafür, dass bevorzugt symbolträchtige Kunst geraubt wurde, die im historischen Bewusstsein der Unterdrückten eine Rolle spielte. Die militärische Niederlage wurde somit zu einer kulturellen Demütigung ausgeweitet. [6]

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Die Epoche der römischen Republik sowie die darauffolgende Kaiserzeit spielt im Zusammenhang mit Kunstraub eine wichtige Rolle. Verbunden mit der Intention des Siegerpreises, die hinter dem Raub eines Kunstwerkes stand, wurde dieser zunehmend als äußerliche Manifestation der Herrschaft angesehen. Die Inszenierung der Kunstwerke während der Triumphzüge der Feldherren und ihre öffentliche Zurschaustellung festigten die Erinnerungen an den Sieg. So verweist Livius darauf, dass Kunst zur äußeren Darstellung und Bekräftigung der römischen Herrschaft diente und daher der imperialistische Geist die Haltung der Römer im Bezug auf die Kunst bestimmte. [7] Dieser Grundsatz galt auch unter der späteren Regierung Napoleons, welcher seine Kulturpolitik explizit auf das römische Vorbild bezog. Seit der römische Konsul Marcus Marcellus nach der Eroberung von Syracus 212 v. Chr. die öffentlichen Plätze und Bauten Roms mit den geraubten Statuen geschmückt hatte, entwickelte sich im Hinblick auf Plünderungen ein regelrechter Enthusiasmus. Der Raub der Kunst der Besiegten wurde nun als ein grundlegendes Recht der römischen Eroberer angesehen. Rom entwickelte sich zu einem Museum par excellence, in dem geraubte Kunst aus Griechenland, Ägypten und Kleinasien zusammengetragen wurde.

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Vor allem Kaiser Nero eignete sich zahllose wertvolle griechische Kunstschätze an. Bei Grabungen in den Ruinen seiner Sommervilla fand man bekannte Skulpturen wie die hellenistische Figur des Mädchens von Antium, den sterbenden Gallier aus der Schule von Pergamon und den Apoll von Belvedere. Wie das Beispiel der Villa Hadriana bezeugt, säumten bald ganze Skulpturengalerien die Innenhöfe wohlhabender Römer. [8] Die Motive für den Kunstraub waren im Falle Roms in der Vorstellung begründet, dass der Feind keinerlei Ansprüche auf Besitz hatte. Diese Begründung verdeutlicht den festen Bestandteil des Beuterechts in den damaligen Vorstellungen vom Kriegsrecht. Nach dem militärischen Sieg zielte der Kunstraub auch auf eine moralische Erniedrigung des Feindes ab und sollte die absolute Überlegenheit demonstrieren. Dieser imperialistische Geist reicht bis in die Gegenwart. [9]

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Die Französische Revolution bildete eine Zäsur in der fürstlichen Einstellung des Absolutismus zur Kunstpolitik. Kunst erfuhr eine neue Wertschätzung, die in der Eröffnung des Musée Central des arts im Louvre gipfelte: War Kunst einst das Privileg einer elitären Gruppe gewesen, sollte sie nun dem ganzen Volk zugänglich gemacht werden. In dieser Zeit entwickelte sich eine Ideologie, die im Kaisertum Napoleons fortleben sollte. Die Kunstpolitik basierte auf der Vorstellung von einem Frankreich, das „an der Spitze des Fortschritts“ stand und demnach allen übrigen Völkern überlegen war. [10] Diese Einstellung spiegelt die Rede eines Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung wider:

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Die Armee des Nordens drang mit Feuer und Schwert in die Mitte der Tyrannen und ihrer Anhänger vor, aber sie schützte sorgfältig die zahlreichen Meisterwerke der Kunst, welche die Despoten in ihrer überstürzten Flucht zurückließen. Zu lange waren diese Meisterwerke durch den Anblick der Sklaverei beschmutzt worden. Im Herzen der freien Völker sollen diese Werke berühmter Männer ihre Ruhe finden […] Nicht länger befinden sich diese unsterblichen Werke in fremdem Land; heute sind sie im Vaterland der Künste und des Genies, der Freiheit und Gleichheit, in der französischen Republik angekommen […].[11]

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Hieran schloss sich nun ein vom französischen Staat organisierter Kunstraub an, der 1794 begann und durch Kunstsachverständige und die französischen Truppen ausgeführt wurde. Besonders in Deutschland und Österreich betrieben die Truppen seit 1796 Kunstdiebstahl in großem Stil. Wiederholt drangen sie über den Rhein ins Land vor. Legitimiert wurde der Kunstraub seit 1800 erstmalig unter dem in Süddeutschland tätigen Kunstkommissar François-Marie Neveu mit dem Anspruch enzyklopädischer Vollständigkeit. [12] Später war es dann vor allem der erste Direktor des Musée Central, Dominique-Vivant Denon, der im Auftrag Napoleons in den eroberten Gebieten Kunst auswählte und beschlagnahmte. [13]

 

Anmerkungen

[1] Tono Eitel: Beutekunst. Zu den völkerrechtlichen Grundlagen der Verhandlungen, in: Heinrich Becker (Hg.): Schattengalerie – Symposium zur Beutekunst. Forschung, Recht und Praxis, Aachen 2010, 181-188, hier: 181.

[2] Rainer Wahl: Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie, in: Matthias Frehner (Hg.): Das Geschäft mit der Raubkunst. Fakten, Thesen, Hintergründe, Zürich 1998, 17-24, hier: 20.

[3] Paul Wescher: Kunstraub unter Napoleon, Berlin 1976, 11.

[4] Margaret M. Miles: Kunstraub - von Odysseus bis Saddam Hussein, in: Schweizer Monatsheft 85 (2005), H. 3/4, 16-20, hier: 16.

[5] Wescher: Kunstraub (wie Anm. 3), 13.

[6] Wilhelm Treue: Kunstraub. Über die Schicksale von Kunstwerken in Krieg, Revolution und Frieden, Düsseldorf 1957, 7.

[7] Wahl: Kunstraub (wie Anm. 2), 17-24.

[8] Wescher: Kunstraub (wie Anm. 3), 16.

[9] Hannes Hartung: Kunstraub in Krieg und Verfolgung. Die Restitution der Beute- und Raubkunst im Kollisions- und Völkerrecht, Berlin 2005, 11f.

[10] Wahl: Kunstraub (wie Anm. 2), 21.

[11] Zitiert nach Wahl: Kunstraub (wie Anm. 2), 21. Siehe auch: Wescher, Kunstraub (wie Anm. 3), 38.

[12] Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 72.

[13] Ausführlich zu Denon siehe Kapitel IV „Das Auge Napoleons“ in: Savoy: Kunstraub (wie Anm. 12), 117-148.

Empfohlene Zitierweise
Miriam Cockx, Kunstraub im historischen Kontext, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Kunstraub im historischen Kontext (Datum des letzten Besuchs).