Sammeln und Lehren vor 1800

Kim Opgenoorth

Tatsächlich finden wir aufschlussreiche Quellen, die bezeugen, dass Wallraf die Objekte seiner Sammlung intensiv für die Lehre verwendete, sei es als Anschauungsmaterial für seine Schüler oder auch zur eigenen Vorbereitung. Im ersten deutschsprachigen Vorlesungsverzeichnis der Kölner Universität wurden Wallrafs Vorlesungen im Jahr 1786 unter der Rubrik „Arzneylehre“ wie folgt angekündigt:

Die Naturgeschichte mit Vorzeigung der Körper und deren Anwendung giebt Herr Prof. Walraf Dienstags, Donnerstags und Samstags von 10-11. Er wird das Mineralreich nach Kronstedts Versuch einer Mineralogie, und im Sommer zugleich das Pflanzenreich nach Reuss Compen. Botan. vorlesen.“ [1]

Das in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln bis heute einsehbare und digitalisierte Werk „Cronstedts Versuch einer Mineralogie“ aus Wallrafs Sammlung enthält Eselsohren und Unterstreichungen. Markiert sind jedoch nicht Fachbegriffe oder Schlüsselworte, sondern die Silben, die den Lesefluss unterstützen und ein angenehmeres Hörverstehen ermöglichen. Mit einiger Sicherheit können wir davon ausgehen, dass es sich hier um das Lehrbuch handelt, aus dem Ferdinand Franz Wallraf vor mehr als 200 Jahren in seiner Vorlesung vorgetragen hat. Aus einem handschriftlichen Aushang von 1786/88 wissen wir, dass Wallraf seine Vorlesungen offenbar gerne auch „vor Ort“ abzuhalten pflegte, so etwa im Botanischen Garten der Universität:

Die Vorlesungen über das Pflanzenreich im Universitätsgarten werden wieder vorgenommen mit künftiger Woche, so daß Montags und Donnerstags zur praktischen Kenntniß der Arzney und Giftpflanzen, Mittwochs und Samstags zur künstlichen Methode der Pflanzenkenntniß nach Linnés System aus Reuss Compend(ium) botan(ices) Anleitung gegeben wird. Ferd(inand) Franz Wallraf m(edicinae) l(icentiatus) der Naturgesch(ichte) und Aesthetik öff(entlicher) u(nd) ord(entlicher) Lehrer[2]

Wie Wallraf in seiner Antrittsvorlesung erklärte, war die Naturgeschichte für ihn die Grundlage aller Wissenschaften. „Naturgeschichte und Bildung des Geschmacks“ waren wesentliche Elemente zur Förderung von Moral und Sittlichkeit des städtischen bürgerlichen Nachwuchses. [3] Die vorrangige Aufgabe des naturwissenschaftliche Forschers lag in seinen Augen im Sammeln von „Zeugnissen der Geologie und der Botanik“, die gerade das Kölner Umland in reichem Maße zu bieten hatte. [4] In den Versteinerungen von Mineralien oder auch historischen Funden sah er „Verfestigungen, in denen sich Transformationsprozesse“ abbildeten. Dies bezog sich sowohl auf die prähistorische Geologie als auch auf Ausgrabungen zur römischen und mittelalterlichen Stadtgeschichte. [5]

Da er die Naturzeugnisse nicht nur präsentieren wollte, sondern auch die Anwendung der verschiedenen chemischen und physikalischen Prozesse zur Erstellung von Heilmedizin aus Pflanzen wie auch die Herstellungsverfahren für Metalle aufzeigen wollte, benötigte Wallraf Spezialliteratur, die er erwiesenermaßen auch ankaufte. [6] Wir können daraus schließen, dass Wallraf seine Bibliothek intensiv auch zur Optimierung der Qualität seiner Lehre nutzte.

Auch mit den anderen Sammlungsgegenständen verband er pädagogische Zielsetzungen: Römische Ausgrabungsfunde sollten Hinweise auf die Kölner Geschichte geben. Antike Münzen bargen Hinweise auf währungsgeschichtliche und politische Entwicklungen der Vergangenheit und konnten den jungen Absolventen der Universität wichtige Grundlagen für das Verständnis der griechischen und römischen Klassiker bieten. [7] Ein Brief von einem Schüler [8], der an der École Centrale die Fächer Geschichte und Schöne Wissenschaften belegt hatte, zeigt, dass Wallraf seine Objekte in den verschiedensten Lehrfächern vorgestellt hatte und damit durchaus begeistern konnte:

Vielen Dank für den genossenen Unterricht in der Mineralogie und Müntzkunde; … ich habe durch meine Steinekenntnis schon manchen guten freund erworben und die Müntzkunde bleibt immer mein Lieblingsfach.[9]

Durch das Studium der Kunststiche und Druckgraphiken wollte Wallraf zudem das Kunstverständnis der Schüler schulen: Um den Aufbau und die Anordnung der Bildelemente studieren zu können, waren ihm auch Kopien von Gemälden recht. Es mussten nicht unbedingt Originale sein. [10] Wallraf hat seine Sammlungsobjekte also nicht als unberührbare Ausstellungsobjekte, sondern vielmehr pragmatisch als Gebrauchsgegenstände gesehen und als Anschauungsmaterial im Unterricht eingesetzt.

Anmerkungen

[1] Gunter Quarg, Ferdinanus Franc Wallraf Facultatis Medicae Doctor, Ausstellungskatalog, Köln 1998, 11.

[2] Quarg, Ausstellungskatalog, 11.

[3] Antrittsvorlesung von Wallraf als Professor der Botanik und der schönen Künste: Ueber die Naturgeschichte und Aesthetik, Köln 14. November 1786«, in: Joseph Hansen (Hg.), Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution: 1780-1801, Bd. 1: 1780-1791, Düsseldorf 2003, 145-156, hier 149.

[4] Stefan Grohé, Wallrafs Geschmack, seine Sammlung und die Kölner Universität, in: Thomas Ketelsen (Hg.), Wallrafs Erbe. Ein Bürger rettet Köln. Ausstellungskatalog, Köln 2018, 38-47, hier: 41.

[5] Grohé, Wallrafs Geschmack, 46.

[6] Gunter Quarg, Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität, Köln 1996, 217.

[7] Quarg, Ferdinand Franz Wallraf als Münzsammler und Numismatiker. Eine Ausstellung zum 250. Geburtstag (Sept. 1998), 3.

[8] Brief vom 20 Dezember 1810 von Kaspar von Knopaeus an Wallraf aus Quarg, Ausstellungskatalog, 6.

[9] Quarg, Münzsammler, 6.

[10] Bianca Thierhoff: Ferdinand Franz Wallraf – Ein Sammler des „pädagogischen Zeitalters“, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 389-406, 394. Außerdem gibt es bei Deeters den Hinweis, dass die Kunststiche im Unterricht eingesetzt wurden, Joachim Deeters, Ferdinand Franz Wallraf: Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 73.

Empfohlene Zitierweise
Kim Opgenoorth, Sammeln und Lehren vor 1800, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2019, Seitentitel: Sammeln und Lehren (Datum des letzten Besuchs).