Struktur der alten Universität

Laura Valentini

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Im Kontext einer Entfaltung der Wissenschaftswelt sind die europäischen Universitäten ein „Produkt jenes materiellen und geistigen Aufschwungs, der die abendländliche Welt seit dem hohen Mittelalter immer stürmischer verändert hat“ und somit als „herausragende Zeugen jener Verwissenschaftlichung des Denkens und Handelns, die seither unseren Kontinent und schließlich die gesamte Zivilisation in immer stärkerem Maße bestimmt hat“ zu verstehen. [1] Die Verknüpfung einer allgemeinen Bildung mit weiterführendem Fachwissen und Forschung spielte dabei eine wichtige Rolle. Der Bildungskanon der septem artes liberales, Kenntnisse, die einem Freien zugestanden wurden, war dabei zentral. Diese Freien Künste waren in Trivium und Quadrivium gegliedert. Die sprachorientierten Disziplinen des Triviums (Grammatik, Rhetorik und Dialektik (Logik)) sowie die „rechnenden“ Künste des Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) bildeten einerseits die Grundlage einer philosophischen Allgemeinbildung. Andererseits wurden sie, in unterschiedlicher Gewichtung, als Voraussetzung für die höheren Fachstudien institutionalisiert. In der Regel absolvierten alle Studenten ein Artesstudium im Sinne eines Grundstudiums an der Artistenfakultät, an welches dann gegebenenfalls das Studium an einer der höheren Fakultäten der Theologie, Jurisprudenz oder Medizin anschloss. [2] Dieses Grundstudium endete mit dem Bakkalareat. Ein weiterführendes Aufbaustudium an der Artistenfakultät schloss mit dem Lizentiat oder Magisterium ab. In den drei höheren Fakultäten der Theologie, Jurisprudenz und Medizin wurden die fortgeschrittenen Studien mit dem Lizentiat und eventuellem Magisterium oder Doktorat beendet. Der Doktoren-Titel war im akademischen Kontext zunächst in der Jurisprudenz gebräuchlich und vermutlich höher angesehen, drang jedoch im Laufe der Zeit auch in die anderen Fakultäten vor. [3] Nur ein geringer Anteil der Absolventen der Artistenfakultät setzte seine Studien an einer der höheren Fakultäten fort. Das Erlangen des Doktorats war nicht nur überaus prestigeträchtig, sondern auch sehr langwierig und kostenintensiv. Allerdings ermöglichte dem Absolventen die mit dem höchsten akademischen Grad verliehene licentia ubique docendi zumindest theoretisch an jeder Universität der Christenheit zu lehren. [4]

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Das Formieren von Fächern in Fakultäten, der Artisten einerseits und der Trias Theologie, Medizin und Jurisprudenz andererseits, bildete dabei die maßgebliche Organisationsstruktur der europäischen Universitäten. Neben einer Artistenfakultät reichte bereits eine der drei höheren Fakultäten aus, um sich als „höheres Generalstudium“ bezeichnen zu können. So gelang den europäischen Universitäten durch die Spezialisierung auf bestimmte Fachbereiche eine Akzentuierung der eigenen Einrichtungen. Während beispielsweise die Pariser Universität lange das Monopol für das Studium der Theologie beanspruchte, spezialisierte sich die Universität Bologna auf die Jurisprudenz und Padua glänzte in der Medizin. Köln konnte hingegen als Neugründung unmittelbar mit allen vier Fakultäten aufwarten. [5]  

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Entscheidend waren bei der Konstituierung der Universität, über das päpstliche Gründungsprivileg hinaus, auch die finanziellen Lasten. Diese wurden teilweise durch päpstliche Privilegien abgedeckt. Papst Bonifaz IX. (1350-1404) bestimmte 1394 jeweils ein Kanonikat der elf kölnischen Stiftskirchen zur Unterhaltung eines Lehrstuhlinhabers der Universität. [6] Diesen sogenannten Pfründen der ersten Gnade folgten noch Pfründen der zweiten und dritten Gnaden. Diese Privilegien dienten einerseits dem Unterhalt einer Professur, banden diese aber gleichzeitig an die Kirche. Der städtisch übernommene Anteil an der Finanzierung bezog sich zunächst auf neun, später auf zwölf städtische Professuren. Diese professores publici et ordinarii waren zu Beginn jeweils ein Artist und Mediziner, drei Theologen und vier Juristen. Anfang des 16. Jahrhunderts erhielten drei Mediziner, vier Theologen und fünf Juristen einen städtischen Sold. Darüber hinaus waren auch Privatdozenten, beispielsweise von den Bettelorden eingesetzte Lektoren, an den Fakultäten tätig. [7] Der Lehrbetrieb gliederte sich in Vorlesungen und Disputationen, weiterhin gab es auch Repetitorien, die wie die Disputationen zum Einprägen und Üben des Lehrstoffes dienten. Diese disputationes ordinariae waren in Struktur und Materie jedoch bald schon allzu klar umrissen und wurden um Disputationen de quolibet ergänzt. Die Quodlibet ermöglichten die Diskussion neuer Fragen und Probleme, die über den gängigen Themenrahmen der disputationes ordinariae hinausgingen. [8]

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Studienvoraussetzung war es nicht nur, des Lesens und Schreibens mächtig zu sein. Auch mussten zunächst ausreichend Kenntnisse in der Unterrichtssprache Latein auf einer Trivialschule oder im Rahmen von Privatunterricht erworben werden. Das grundlegende Studium in der Artistenfakultät basierte nominell auf dem Bildungskanon der septem artes liberales, fokussierte jedoch die aus der ars Dialektik hervorgegangene Philosophie in Gestalt der aristotelischen Logik. Grammatik und Rhetorik wurden in Köln nicht in öffentlichen Vorlesungen vermittelt, sondern nur in privaten Übungen abgehandelt. [9] Nach dem Erlangen des baccalaureus artium schloss sich weiterführend das Studium einer von Aristoteles geprägten philosophia naturalis an, die das ursprüngliche Quadrivium der Sieben Freien Künste weitestgehend ersetzte. Neben diesen weiterführenden Studien bis zum Lizenziat wurde von den Lernenden bereits eine Lehrtätigkeit in Form eigener Vorlesungen über die Logik erwartet. Nach einer Lehr- und Lerntätigkeit von zwei Jahren war es dem Lizentiaten möglich, als magister artium dem Professorenkollegium der eigenen Fakultät beizutreten. [10]

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Die Theologische Fakultät, führende der drei höheren Fakultäten, war die „Ausbildungsstätte für eine kleine Zahl von Spezialisten“, da ein Studium der Theologie für die alltägliche Arbeit des Seelsorger-Klerus nicht als verbindlich angesehen wurde. [11] Sie stand in enger Verknüpfung mit den Generalstudien der Bettelorden, deren Mitglieder auch ohne Immatrikulation mit wenigen Einschränkungen jedoch im Grunde dieselben Rechte wie Universitätsmitglieder für sich beanspruchen konnten. Inwieweit die Studien der Bettelorden mit dem Theologiestudium der Universität verknüpft waren, ist jedoch nicht mehr zu rekonstruieren. [12] Voraussetzung war ein abgeschlossenes Studium an der Artistenfakultät, und das eigentliche Theologiestudium bis zum Lizenziat konnte erneut zehn bis zwölf Jahre in Anspruch nehmen. Eine Promotion zum Dr. theol. führte zur Aufnahme in den Fakultätsrat (consilium), dessen Mitgliederzahl jedoch Anfang des 17. Jahrhunderts auf zwölf beschränkt wurde. Die Hälfte davon war für bestimmte Ordensgeistliche reserviert, die auch etwa die Hälfte der Theologieprofessuren bekleideten. Die ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzende Verkürzung der Studienzeit „sollte eine theologische Breitenbildung des Klerus ermöglichen, der damit besser befähigt sein sollte, den Anforderungen des konfessionellen Zeitalters zu genügen.“ [13]

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Siegel der Juristischen Fakultät 1393

Bild: ©Wikimedia Commons/ gemeinfrei

Die Juristische Fakultät war ein weiteres Spezifikum der Kölner Neugründung, da sie im Sinne einer Doppelfakultät fungierte. Dort konnte sowohl das gängige Kirchenrecht als auch römisches Recht studiert werden. Diese Kombination ist auch auf dem Siegel der Juristischen Fakultät visuell in Szene gesetzt. Das Siegelbild des Rundsiegels mit 5,2 cm Durchmesser zeigt in einem Vierpass mittig eine Unterrichtszene. Ein Professor sitzt erhöht an einem Lesepult, während zu seinen Füßen zwei Studenten mit aufgeschlagenen Büchern auf den Knien dargestellt sind. Links der Lehrszene befindet sich ein Dreieckschild mit gekreuzten Schlüsseln, die das kanonische Recht symbolisieren. Rechts der Lehrszene ist der Doppeladler als Zeichen für das Zivilrecht im Schild dargestellt. [14] Die beiden Studiengänge der Kanonistik und Legistik waren nicht strikt getrennt. Sie konnten miteinander kombiniert werden und Professoren der Kanonistik wie auch Legistik konnten in beiden Fachrichtungen lehren. Allerdings flossen beide Disziplinen nicht immer gleichwertig in die Lehre mit ein. Die Schwerpunkte verschoben sich im Laufe der Zeit immer wieder zugunsten des einen oder anderen Studiengangs, so lag beispielsweise im Zuge der Reformation der Fokus auf der Legistik. [15] Ein im Vorhinein abgeschlossenes Artesstudium war an der Kölner Universität nicht obligatorisch, allerdings wurde dann eine entsprechende Ausbildung der angehenden Juristen gefordert. Auch die Studenten der Rechtswissenschaften mussten nach dem Absolvieren des Grund- und Fortgeschrittenenstudiums selbst in der Lehre tätig werden, um Lizentiat und anschließend nach Wunsch den Doktortitel zu erwerben. [16]

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Die Medizinische Fakultät der Universität war, wie im Vergleich mit anderen deutschen Universitäten nicht unüblich, die kleinste der drei höheren Fakultäten. Die Studenten bestritten ihre Studien durch das Kommentieren eines auf Lehrbüchern und Schriften unter anderem Galens, Hippokrates‘ oder des zusammengetragenen medizinischen Standardwissens im Sammelwerk der Ars medicinae basierenden Wissenskanons. [17] Der praktischen Anatomie im Sinne des Sezierens von Leichen stand man im Alten Reich lange Zeit ablehnend gegenüber. Obwohl dies beispielsweise in Bologna schon im 14. Jahrhundert praktiziert wurde, erhielt das Sezieren erst im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts, wenn auch zögerlich und sporadisch, Einzug in das Medizinstudium an deutschen Universitäten. In Köln wurden ab 1715 nachweislich Sektionen durchgeführt und dafür eigens ein theatrum anatomicum eingerichtet. [18]

Anmerkungen

[1] Erich Meuthen: Kleine Kölner Universitätsgeschichte, Köln 1998, 5. Online unter: http://www.portal.uni-koeln.de/universitaetsgeschichte.html (15.03.2017).

[2] Meuthen: Kleine Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 5; Manfred Groten (Bearb.): Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas. 600 Jahre Kölner Universität. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln. 4. Oktober bis 14. Dezember 1988, Köln 1988, 74.

[3] Erich Meuthen: Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln / Wien 1988, 16-19.

[4] Götz-Rüdiger Tewes: Das höhere Bildungswesen im alten Köln. Zu den Bursen und Gymnasien der alten Kölner Universität, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hg.): Bildung stiften, Köln 2000, 8-33, hier: 9.

[5] Meuthen: Kleine Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 6f. und Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 17.

[6] Anna-Dorothee von der Brincken: „In supreme dignitatis“. Zur Gründungsurkunde Papst Urbans VI. für die Universität Köln vom 21. Mai 1388, in: Geschichte in Köln 23 (1988), 9-36, hier: 17.

[7] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 2), 82.

[8] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3) 23f.

[9] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 2), 74f.

[10] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 115.

[11] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 2), 67.

[12] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 150f.

[13] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 2), 68.

[14] Karl-Heinrich Hansmeyer (Hg.): 600 Jahre Kölner Universität 1388-1988. Von der mittelalterlichen Alma Mater zum zukunftsorientierten Zentrum der Wissenschaft. Historischer Überblick und aktuelle Bestandsaufnahme aus Anlaß der 600. Wiederkehr des Gründungsdatums, Köln 1988, 9; Hubert Graven: Die Rektorats- und Fakultätssiegel der alten Universität Köln, Köln 1935, 16f.

[15] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 127-129.

[16] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 2), 69f.

[17] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 120-122.

[18] Meuthen: Kleine Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 23.

Empfohlene Zitierweise
Laura Valentini, Struktur der alten Universität, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2016, Seitentitel: Struktur der alten Universität (Datum des letzten Besuchs).