Miriam Cockx
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Die Völkerschlacht bei Leipzig besiegelte die Niederlage Napoleons. Wenige Tage nachdem die Alliierten Paris eingenommen hatten, folgten Napoleons Abdankung und seine Verbannung nach Elba. Zwar trafen unmittelbar danach auch deutsche Kunstkommissare in Paris ein, um die geraubte Kunst zurückzufordern; mit der Rückkehr Napoleons 1815 und seiner 100-tägigen Herrschaft gerieten die Forderungen jedoch ins Stocken. [1] Bereits vor 1814/15 waren mehrere Initiativen aus Deutschland zugunsten der Restitutionen unternommen worden. Diese Forderungen, die vor allem aus dem Rheinland und Berlin stammten, hatten jedoch nur eine geringe Durchsetzungskraft. Das Fokussieren auf ein Restitutionsbegehren sensibilisierte aber die Öffentlichkeit, die den Forderungen ab 1815 an Nachdruck verlieh. [2] So hatte man in Preußen schon 1807 damit begonnen, Verluste aufzulisten und Zeugenaussagen hinsichtlich des Raubes der Kunstsammlung von König Friedrich Wilhelm III. aufzunehmen. [3]
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„Die Quelle zur Wiedererstattung öffnet sich selbst in dem unermesslichen, unersättlich angehäuften Reichthum eines Volkes, welches die Kunst zu rauben […] seit diesen langen Jahren in unserem Vaterland so systematisch auszuüben gewußt hat.“ [4]
Dieses Zitat Ferdinand Franz Wallrafs spiegelt die Gedanken jenes patriotischen Kreises wider, der versucht hatte, schon während der französischen Besatzung deutsches Kulturgut zu bewahren. Viele hatten, genau wie Wallraf, Kunstwerke, die im Zuge der Säkularisierung von Klöstern und Bibliotheken verfügbar wurden, günstig erwerben können. Dies bot ihnen die Möglichkeit, große Privatsammlungen anzulegen oder bereits bestehende Sammlungen durch regionale Kulturgüter zu erweitern. [5] Gerade die heimische Provenienz, insbesondere in Köln, hatte die Bindung der Bürger zu diesen Kunstwerken gestärkt
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Köln hatte bereits 1796 mit der Kreuzigung Petri Rubens‘ ein Wahrzeichen der Stadt zurückgefordert. Die Bedeutung dieses Werkes für die Stadt und seine Bürger wird durch die wiederholten Anfragen ersichtlich. Jedoch wurde auch im Jahr 1802 die Bitte des Kölner Bürgermeisters Kramer von Paris umgehend zurückgewiesen. Die Stadt hatte die Rückgabeforderung mit der Schaffung einer Gemäldegalerie begründet. Die Kreuzigung Petri sollte zusammen mit den verbliebenen Kölner Kunstwerken den Bestand bilden. Doch sah Paris in den vorhandenen Kunstwerken eine ausreichende Ausstattung. [6] Der Identitätsverlust, den die Wegnahme des Rubenswerkes für die Kölner bedeutete, wurde 1808 bei einem erneuten Rückgabeversuch auch von dem französischen Innenminister angesprochen. In einem Schreiben, das an Napoleon gerichtet war, brachte er zur Sprache, was viele Kölner Bürger nach der langen französischen Fremdherrschaft fühlten: [7]
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„Das Gemälde der Kreuzigung Petri ist ein Geschenk, das Rubens seiner Heimatstadt gemacht hat; er begleitete es mit einem Brief, den man dort doch mit einer Art Verehrung aufbewahrt; es ist also ein lokales Denkmal, das durch nichts zu ersetzen ist. […] Ich wage es also, Majestät, Sie zu bitten, dem Wunsch einer ganzen Stadt zu entsprechen, indem Sie ihr ein Gemälde zurückgeben lassen, das für sie beinahe Gegenstand eines regelrechten Kultes ist.“ [8]
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Die Bitte wurde von Dominique-Vivant Denon abgelehnt, der auf der Vollständigkeit seiner Sammlung beharrte. [9] Auch die Antwort auf die anderen europäischen Rückgabeforderungen war zunächst anlässlich des unterzeichneten Waffenstillstandes ernüchternd ausgefallen. Eine Distanzierung von der napoleonischen Herrschaft, die mit der Rückkehr Ludwigs XVIII. angestrebt wurde, schien nicht auf den kulturellen Bereich zuzutreffen. Dies wird durch folgende Äußerung des Königs deutlich: „Der Ruhm der französischen Armeen ist nicht befleckt worden: die Denkmäler ihrer Tapferkeit dauern fort, und die Meisterwerke der Künste gehören uns von jetzt an mit größerem Recht als dem der Sieger.“ [10] Auch im Bestand des Louvre änderte sich zunächst nichts. Denon gelang es sogar in einem bereits von den Alliierten besetzten Paris eine Ausstellung im „Grand Salon“ des Louvre zu eröffnen. [11]
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Im Deutschen Reich beschränkte man sich zunächst darauf, die entführten Werke ausfindig zu machen und zu identifizieren. [12] Während dieser Zeit spalteten sich die Meinungen hinsichtlich der Restitutionsforderungen: Gelehrte wie die Brüder von Humboldt wurden wegen ihrer Aussage, dass „die Kunst einem höheren Vaterland angehöre als dem politischen“, als Volksverräter bezeichnet. [13] Vor allem im Rheinland wurden die Kunstwerke als „identitätsstiftend“ und „Volkseigentum“ angesehen. [14]
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Eine Wende in der Rückgabepolitik entwickelte sich erst nach der gescheiterten Rückkehr Napoleons und der Schlacht bei Waterloo. Nachdem die preußischen Truppen am 8. Juli 1815 in Paris eingezogen waren, wurde auch Denon zur Rückgabe der Kunstwerke aufgefordert. Nach anfänglichen Verweigerungen musste er sich unter Androhung einer Haftstrafe beugen. [15] Bis November 1815 hatte man den Großteil der geraubten Kunst aus der königlichen Sammlung zurückgeholt. Und auch die restlichen Länder wie Spanien, die Niederlande oder der Vatikan erhielten ihre Verluste zurück. [16] Problematisch verlief allerdings die Auffindung einiger Kunstwerke, die in Provinzmuseen oder Privatsammlungen übergegangen waren. Die Provenienzen dieser Werke konnten nicht mehr lückenlos rekonstruiert werden, da sie durch Weiterverkäufe nicht mehr auffindbar waren. [17]
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Mit dem endgültigen Sturz Napoleons 1815 ging „die größte Restitutionsaktion der Neuzeit“ einher. [18] An die Stelle des kulturellen Gedächtnis- und Identitätsverlust durch die französische Aneignungspolitik seit 1794 trat nun „eine wachsende patriotische Identifizierung mit den entwendeten Objekten“ und die Bemühung um deren Rückführung. [19]
Anmerkungen
[1] Bénédicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 182.
[2] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 151.
[3] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 152.
[4] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 187-223, hier: 192. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)
[5] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1.), 241f.
[6] Hiltrud Kier: Das Kölner Museum zwischen Trikolore und Preußenadler, in: Dies. / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust II. Corpus-Band zu Kölner Gemäldesammlungen 1800-1860, Köln 1998, 9-23, hier: 12.
[7] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 160.
[8] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 160.
[9] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 160.
[10] Paul Wescher: Kunstraub unter Napoleon, Berlin 1976, 131.
[11] Wescher: Kunstraub (wie Anm. 9), 131f.
[12] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 164.
[13] Zitiert nach Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 247.
[14] Savoy: Kunstraub (wie Anm.1), 249.
[15] Wescher: Kunstraub (wie Anm. 9), 134.
[16] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 1), 188.
[17] Christopher M.S. Johns: Antonio Canova and the Politics of Patronage in Revolutionary and Napoleonic Europe, Berkeley 1998, 181f.
[18] Yann Potin: Kunstbeute und Archivraub. Einige Überlegungen zur Napoleonischen Konfiszierung von Kulturgütern in Europa, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn (Hg.): Napoleon und Europa. Traum und Trauma, München u.a. 2010, 91-99, hier: 91.
[19] Bénédicte Savoy: Objekte der Begierde: Napoleon und der Europäische Kunst- und Gedächtnisraub, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn (Hg.): Napoleon und Europa. Traum und Trauma, München u.a. 2010, 261-274, hier: 261.