Exkurs: Das Jesuitenkolleg in Köln und seine Geschichte

Alexandra Nebelung

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Noch heute kann man in der Marzellenstraße das ehemalige Gebäude des Jesuitenkollegs besuchen, das sich hier bis 1911 befand. Die ehemalige Burse der Kölner Universität war von ihrer Leitung durch den Jesuitenorden über die französische und preußische Regierung bis in das 20. Jahrhundert hinein Teil der Kölner Schul- und Universitätsgeschichte.

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Der Jesuitenorden wurde 1537 von den Studenten Ignatius von Loyola (1491-1556), Petrus Faber (1506-1546) und Franz Xaver (1506-1552) in Italien gegründet. [1] Sie gelobten eine Wallfahrt nach Jerusalem zu unternehmen und – sollte dies nicht möglich sein – dem Papst zu dienen. Die Wallfahrt wurde nicht realisiert. Dennoch ist der Orden heute vor allem für seine Missionarstätigkeit in Südamerika und Asien bekannt, schon das Gründungsmitglied Franz Xaver reiste bis nach Indien und Japan. [2] Auch in Europa hinterließen die Jesuiten viele Spuren. 1543 kam Petrus Faber nach Köln und konnte die Unterstützung des hier ansässigen Kartäuserordens für sich gewinnen. [3] Dieser nahm die ersten kölnischen Jesuiten bei sich auf, weil diese Schwierigkeiten hatten, selbstständige Niederlassungen zu gründen. In Köln, wie auch in anderen Städten Europas, wohnten jesuitische Studenten in Häusern des Ordens. [4] Die Unzufriedenheit der Mitglieder mit den theologischen Lektionen der örtlichen Universitäten hatte zur Folge, dass sich die Ordenstätigkeit auf das Bildungswesen erweiterte. [5] In vielen Städten gründeten oder übernahmen sie Schulen und Universitäten. In Köln nutzten die Jesuiten ihre Chance, als sich die Burse Tricoronatum 1556 ohne Leitung und in desolatem Zustand befand. [6]

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Das Tricoronatum, auch Burse Cucana (Kuckana) oder Dreikronenburse genannt, war eine der drei Bursen, die im 16. Jahrhundert in Köln noch Bestand hatten. Bursen stammten aus der Tradition des Mittelalters, dort wohnten Studenten der Artistenfakultät mit ihren Professoren und erhielten zusätzlichen Unterricht. [7] Als das Tricoronatum kurz vor der Schließung stand, entschloss sich der Rat der Stadt Köln, 1551 die Burse nach dem Vorbild humanistischer Gymnasien umzustrukturieren. [8] Unter der Leitung des Jesuiten und Bürgermeistersohnes Johannes Rethius (1532-1574) blühte das Gymnasium wieder auf. Zwar blieb das Tricoronatum formal in städtischer Hand, faktisch jedoch wurde es vom Jesuitenorden geleitet und geformt. [9]

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In den nächsten Jahren konnte das Gymnasium seine Schülerzahlen vervielfachen und wurde Vorbild für die beiden anderen Bursen, die 1577 ebenfalls reformiert und zu Gymnasien wurden. [10] Das jesuitische Konzept sah eine umfassende Vermittlung der lateinischen und griechischen Sprache, der Logik, Physik und Metaphysik vor, zu der auch praktische Übungen wie Disputationen gehörten, wie ein Auszug aus dem Lehrplan des Jahres 1561 zeigt:

„In der Rhetorik-Klasse

[…] Magister Arnold – Um 16 Uhr [wird] die Rede Für das Gesetz des Manilius [behandelt]. Sie [die Schüler der Rhetorik-Klasse] tragen sich an einzelnen Sonn- und Festtagen gegenseitig eine Rede vor, […].

Jeden Mittwoch um 17 Uhr disputieren die Schüler der Poetik-Klasse gegen jene aus der Rhetorik-Klasse und umgekehrt in Gegenwart der Lehrer der beiden Klassen in lateinischer oder griechischer Grammatik und in Metrik.“ [11]

Anstatt Latein und Griechisch lediglich zu lesen, sollten die Schüler frei sprechen können, weswegen viel Wert auf die Disputationen zur Vertiefung der Grammatik gelegt wurde. [12]

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Eine andere Gelegenheit für die Schüler, sich in Rede und Auftreten zu üben, ergab sich aus den Theateraufführungen. Diese hatten ihren Ursprung schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als die Schüler statt einfacher Reden in Dialogform vorsprachen. [13] Daraus entwickelte sich das „Schuldrama“, das moralische Lehren beinhaltete. [14] Diese Aufführungen brachten die Schüler aus dem Klassenraum auf die schuleigene Bühne und boten nicht nur Abwechslung, sondern auch spielerische Anwendung des Gelernten. Außerdem erfreute sich das Theater großer Beliebtheit bei den Familien der Schüler und trug zum Erfolg des Jesuitenkollegs bei. [15]

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Doch nicht nur Erfolge prägten die Geschichte des Jesuitenkollegs. Das Tricoronatum hatte einen schwierigen Stand als formell städtische, aber vom Jesuitenorden geleitete Schule. Zum einen musste die Schule sich den städtischen Traditionen beugen, zum anderen gab es Vorschriften des Ordens aus Rom. Die Leitung des Gymnasiums war auf zwei Positionen verteilt, einen Regenten, der von der Stadt eingesetzt war, und den Leiter der Kölner Ordensniederlassung, die sich beide absprechen mussten. [16] Die beiden anderen ehemaligen Bursen, Montanum und Laurentianum, kritisierten Praktiken und Neuerungen des Tricoronatums, sodass sich der erste Regent Rethius bemühte, die beiden anderen Gymnasien zur Übernahme des jesuitischen Lehrplans zu bewegen. [17] Wie Siegfried Schmidt in seiner Geschichte des Jesuitenkollegs feststellt, ist es „bemerkenswert, wie der Jesuitenorden in der alten Reichsstadt Köln in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts innerhalb von wenigen Jahrzehnten Fuß fassen konnte […].“ [18] Pläne, die anderen Schulen oder die Universität ebenfalls in Jesuitenhand zu bringen, konnten jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden. [19] Auch von Pestwellen, Bränden oder Naturkatastrophen blieb das Kolleg im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte nicht verschont.

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Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erlebte das Gymnasium einen Rückgang der Schülerzahlen. Ein Grund dafür war der veraltete Lehrplan, der 200 Jahre später noch dem glich, der weiter oben zitiert wurde. [20] Erst unter dem Leiter Hermann Joseph Hartzheim (1694-1763) kam es zu Reformen. Dieser stärkte die Fächer Geschichte und Mathematik sowie die Naturwissenschaften. [21] Damit einher ging auch der Ausbau der Sammlung naturwissenschaftlicher Geräte und Materialien. Seit 1702 gab es ein mathematisch-physikalisches Kabinett, 1729 wurde eine Sternwarte eingerichtet, die in der Folgezeit die astronomischen Geräte beherbergte. [22] Wenn es auch Uneinigkeit in der aktuellen Forschung über die tatsächliche Qualität und Fortschrittlichkeit des Unterrichts gibt, so scheint es gesichert, dass das Tricoronatum zumindest in Köln führend in den Naturwissenschaften war. [23]

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Die Leitung des Kollegs durch die Jesuiten endete mit der Auflösung des Ordens 1773 durch den Papst. Die Geistlichen durften weiterhin als Lehrkräfte tätig sein. [24] Die Stadt Köln konnte das Vermögen des Ordens durch richterlichen Beschluss für das Tricoronatum erhalten und somit blieb auch das Gymnasium als städtische Schule bestehen. [25] Ein vorläufiges Ende fand das Kölner Schul- und Universitätswesen mit dem Einmarsch der Franzosen 1794 und der Neuregelung nach französischem Vorbild, wodurch auch die Tradition des Jesuitenkollegs endete. [26] Das heutige Dreikönigsgymnasium führt die eigene Geschichte auf das Kolleg und sogar bis auf die Kuckana-Burse zurück. [27]

 

Anmerkungen

[1] Heinz Finger: Ignatius, Faber, Xaverius. Die drei ersten unter den sieben Gefährten des Montmartre-Gelübdes, in: Ders. (Hg.): Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der deutschen Provinz der Jesuiten zum Ignatianischen Jahr 2006, Köln 2006, 15-34, hier: 20.

[2] Finger: Ignatius (wie Anm. 1), 29f.

[3] Norbert Trippen: Die Förderer der ersten Jesuiten in Köln. Johannes Gropper und die Kartäuser, in: Heinz Finger (Hg.): Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der deutschen Provinz der Jesuiten zum Ignatianischen Jahr 2006, Köln 2006, 35-38, hier: 36.

[4] Siegfried Schmidt: Das Gymnasium Tricoronatum unter der Regentschaft der Kölner Jesuiten, in: Heinz Finger (Hg.): Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der deutschen Provinz der Jesuiten zum Ignatianischen Jahr 2006, Köln 2006, 71-186, hier: 71.

[5] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 71.

[6] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 80f.

[7] Erich Meuthen: Kleine Kölner Universitätsgeschichte, in: www.portal.uni-koeln.de, URL: http://www.portal.uni-koeln.de/universitaetsgeschichte.html (15.03.2017).

[8] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 78.

[9] Alfred Hofmann: Societas Jesu als Trägerin der höheren Schulbildung 1544-73, in: Lore Brandau (Hg.): Festschrift zum 550-jährigen Jubiläum des Dreikönigsgymnasiums, Köln 2000, 6-17, hier: 13.

[10] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 83-85.

[11] Lothar Schilling: Schule in Köln. Unterrichtsplan der Jesuiten für das Gymnasium Tricoronatum, 1561, in: Joachim Deeters / Johannes Helmrath (Hg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Bd. 2: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit (1396-1794), Köln 1996, 174-185, hier: 180.

[12] Josef Kuckhoff: Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Köln 1931, 165.

[13] Kuckhoff: Geschichte Tricoronatum (wie Anm. 12), 172f.

[14] Kuckhoff: Geschichte Tricoronatum (wie Anm. 12), 175.

[15] Hofmann: Societas Jesu (wie Anm. 9), 10.

[16] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 83.

[17] Kuckhoff: Geschichte Tricoronatum (wie Anm. 12), 152.

[18] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 88.

[19] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 103f.

[20] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 162.

[21] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 162-164.

[22] Gunter Quarg: Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität, Köln / Weimar / Wien 1996, 3 und Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 164.

[23] Vgl. Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 165 und Quarg: Naturkunde (wie Anm. 22), 3.

[24] Hofmann: Societas Jesu (wie Anm. 9), 16.

[25] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 171.

[26] Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 176-178.

[27] Günter Gleisle: Aus der Schulgeschichte, in: Lore Brandau (Hg.): Festschrift zum 550-jährigen Jubiläum des Dreikönigsgymnasiums, Köln 2000, 4-6, hier: 4 und Schmidt: Gymnasium Tricoronatum (wie Anm. 4), 177f.

Empfohlene Zitierweise
Alexandra Nebelung, Exkurs: Das Jesuitenkolleg in Köln und seine Geschichte, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Exkurs: Das Jesuitenkolleg und seine Geschichte (Datum des letzten Besuchs).