Wallrafs Antrittsvorlesung als Professor der Botanik, Naturgeschichte und Ästhetik am 14. November 1786
Alexandra Nebelung
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Ferdinand Franz Wallraf erhielt im Jahr 1778 den Baccalaureus der Medizin und sechs Jahre später die kommissarische Leitung des Lehrstuhls für Botanik, der der medizinischen Fakultät zugeordnet war. [1] Als Sammler und Forscher der Mineralogie und Botanik setzte er sich für eine Erweiterung des Vorlesungsangebotes in den naturwissenschaftlichen Fächern ein. [2] Nur mit wenigen Vorschlägen konnte Wallraf sich durchsetzen; seine Berufung zum Professor für Naturgeschichte und Ästhetik, unter Beibehaltung der Professur für Botanik und seiner Lehrertätigkeit am Gymnasium, ist ein Beispiel dafür. Am 14. November 1786 hielt er seine Antrittsvorlesung, in der er seine Berufung und seine Fächer verteidigte.
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Seine Antrittsrede beginnt mit einer Hymne auf seine Heimatstadt, die Kritik, Lob und Hoffnung in sich vereint. Die Kritik steckt in den vielen Anmerkungen, mit denen Wallraf ausdrückt, dass Köln erst wieder anfange, sich zu alter Größe zu entwickeln: „Von unserer alten Höhe, wo noch vor 200 Jahren auch hier eine Periode des Lichts war, wo Köln das Athen am Rheine war, […] – von dieser Höhe sind wir gesunken.“ [3] Niedergang seit dem 16. Jahrhundert bescheinigt Wallraf seiner Heimat, vor allem in den Wissenschaften. Nach langer Zeit „[…] erhebt sich unsere Universität […] ihrem vorigen Glanze wieder entgegen.“ [4] Sie stünde zwar noch nicht so gut da wie ihre Nachbaruniversität in Bonn, doch ihr drohender Untergang sei laut Wallraf abgewendet. Allzu negative Berichte über Kölns Zustand weist er von sich. Er würde seine Heimat nie verleumden – eine Beteuerung, die darauf hinweist, dass gerade dieser Vorwurf ihm offenbar schon öfter gemacht wurde. [5] Mit seiner Rede feiert er die Stadt und ihren Verdienst um die Wissenschaft: „[…] sie rettet den Ruhm des wirklichen Köln gegen die Vorwürfe so vieler zu rascher Beurteiler, […]“ [6] Die Vorlesung war gut besucht und alle wichtigen Personen Kölns waren vertreten. Dass Wallraf seine Antrittsrede vor einem so großen Publikum hielt, war eher ungewöhnlich, er selbst hatte es so gewollt und initiiert. [7] Dieser öffentliche Auftritt erlaubte es ihm, seine persönlichen Ansichten einem breiten Publikum vorzutragen und sich auch, wie oben beschrieben, gegen einige Vorwürfe zur Wehr zu setzen.
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Im weiteren Verlauf seiner Rede verteidigt Wallraf seine Berufung und seine neuen Lehrämter. Einige seiner Äußerungen behandeln die Bedeutung der philosophischen Fächer: „Sie [die Versammlung, Anm.] ermuntert die Häupter und Glieder unserer politischen sowohl als literarischen Republik zum Schutze und zur Fortsetzung der Institute, woran man nicht nur den herankeimenden Bürger, sondern auch wirklich Personen von reiferem Alter und von höherem Range teilnehmen sieht.“ [8] Die Vorlesungen der Philosophischen Fakultät würden von viel mehr Interessierten als nur den Studenten besucht und taugten daher zur Bildung des Volkes. Genau diese Allgemeinbildung war es, die Wallraf in seiner Laufbahn als Wissenschaftler und Sammler antrieb. Seine Mühen für dieses Ziel lässt er nicht unerwähnt: „Aber warum erstummt nicht vor ihr [der Versammlung, Anm.] meine Vermessenheit, in meiner Vaterstadt als ein Apostel zwoer Wissenschaften aufzutreten, die ich größtenteils nur im Schoße derselbigen und durch den unsichern Weg des Privatstudiums und durch langsame, kostbare Anschaffung der notwendigsten Hülfsmittel, welche man anderswo in überflüssigem, unbenutztem Vorrate antrifft, wenn ich es sagen darf nur in der Absicht angegriffen hab, um vielleicht einmal meinen Mitbürgern dadurch nützlich sein zu können?“ [9] Wallraf betont hier sein Engagement für die Botanik und die Ästhetik, für das er nicht auf Hilfe der Kölner Universität hoffen konnte, da diese nicht über Lehrmittel verfügte, auf die er hätte zurückgreifen können. Allein „Liebe des Vaterlandes“ und „edle Begeisterung“ seien seine Motive und Quelle seines Mutes, sich entgegen vieler kritischer Stimmen auf neues Terrain zu wagen. [10]
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Den längsten Teil seiner Rede widmet Wallraf der Verteidigung der Naturgeschichte und ihrer Bedeutung: „Die Naturgeschichte war von jeher eine dem Bedürfnisse des Menschen angemessenste Beschäftigung." [11] Die Welt in ihrer Gesamtheit sei eine Schöpfung Gottes, insofern sei es folgerichtig, dass der Mensch, als Teil dieser Schöpfung, ein natürliches Interesse an ihr hätte. Daher sei es auch undenkbar, dass es Menschen gäbe, die dieses Studium für unnötig halten würden. Wallraf lässt seiner Begeisterung freien Lauf, wenn er seinen Zuhörern ausmalt, wie es wohl sein müsste, die Erde als Erster zu sehen oder sie im Laufe der Zeit von weit her beobachten zu können: „Denke sich ein jeder aus uns, als das erste Menschengeschöpf von dem Hauche des Allvaters hervorzutreten, geführt an der Hand des göttlichen Schöpfers, […] zu schauen die unermessene Bahn der Sphären, diese herrliche Erdenbühne in ihrem ersten Frühlinge mit all den unzählbar mannigfaltigen Geschlechtern […].“ [12] Ebenso müsse es ein faszinierendes Schauspiel sein, „die großen Revolutionen des Erdballs, das Entstehen der Gebirge, die Abweichungen der Meere, die Fieber der Vulkane, den ganzen abwechselnden Pulsgang der Natur“ beobachten zu können. [13] Gottes Schöpfung, das macht Wallraf hier deutlich, sei ein Geschenk an die Menschheit und in all ihren Einzelheiten könne der Mensch die „stille Allmacht Gottes“ sehen und fühlen. [14] Die Bewunderung der Natur und ihre Erforschung seien daher gleichzusetzen mit der Verehrung Gottes.
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Keinem Menschen sei jedoch das Glück zuteil geworden, den oben beschriebenen Schauspielen beizuwohnen, daher müsse man sich auf anderem Weg Wissen über die Vorgänge und die Elemente der Erde verschaffen. Gott hätte die Menschen dafür mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihnen das ermöglichen: „[…] du erleuchtest Menschen, durch Berechnung von Raum und Zeit […] ihre verlorene [!] Trittspuren aufzuspähen.“ [15] Wallraf zählt verschiedene Arten von Forschern auf, die teils ihr Leben riskieren würden, um Erkenntnisse über die Welt zu sammeln. Dieses Wissen sollte jedoch nicht allein bei den Naturwissenschaftlern bleiben. Es erfülle einen viel größeren Zweck, wenn es dem gesamten menschlichen Wissensschatz zugutekomme. Letztlich würde auch der Philosoph davon profitieren und seine Ästhetik daraus gewinnen. [16] Wallraf erzählt von anderen Staaten – er nennt keine genauen Beispiele – in denen das Wissen mit allen Menschen geteilt würde, die in der Landwirtschaft oder im Gewerbe arbeiten. Dadurch würde Missbrauch und Aberglauben vorgebeugt und würden letztlich alle profitieren. Kenntnis der Naturgeschichte lässt sich in diesem Fall mit „Aufklärung“ gleichsetzen, denn Wallraf propagiert hier ein Miteinander der Wissenschaften, Stände und Berufe. Er ruft daher die Jugend auf, die Naturgeschichte nicht zu verachten als ein Gebiet, das ihnen nicht nutzt, da „die Naturgeschichte die erste Stufe der Philosophie ward.“ [17]
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Nur ganz kurz zum Schluss geht Wallraf überhaupt auf die Ästhetik ein, die er als „Bildung des Geschmacks“ bezeichnet. Der Geschmack würde „Vernunft und Sittlichkeit “ krönen und den Menschen zur Unterscheidung von Gut und Böse befähigen. Daher sei diese Lehre nicht nur für Einzelne, sondern das ganze Volk wichtig und müsse vom Staat gefördert werden. Ebenso wie die Naturgeschichte sei die Ästhetik „ein wahrer und vornehmer Teil der Philosophie.“ [18]
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Die folgenden Jahre waren sehr erfolgreich für Wallraf; nicht nur die Studenten besuchten seine Vorlesungen, es kamen auch viele Zuhörer von außerhalb oder aus den hohen Rängen der Gesellschaft, um an den neuen Wissenschaften teilzuhaben. [19] Doch das Glück währte nur kurz. Schon 1789 stellte Wallraf seine Vorlesungen für Naturgeschichte ein. Seine Gegner nutzten das Argument, dass er nicht Mitglied der philosophischen und der medizinischen Fakultät zugleich sein könne, um zu erwirken, dass Wallrafs Gehalt nicht ausgezahlt wurde. [20] 1791 endeten dann auch seine Vorlesungen der Ästhetik. [21] Wallraf selbst hatte dies kommen sehen; in seiner Rede spricht er von der „lauernde[n] Peitsche der Kritik“, die ihn treffen müsse. [22] Doch diese hielt Wallraf offenbar nicht davon ab, seine Ideen für Köln und die Forschung zu vertreten.
Anmerkungen
[1] Gunter Quarg (Bearb.): Ferdinandus Franc. Wallraf. Facultatis medicae doctor, 1788-1988. Ausstellung der Zentralbibliothek der Medizin und der medizinischen Abteilung der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln zur 200-Jahrfeier der Promotion von F. F. Wallraf zum Doktor der Medizin, Köln 1988, 2.
[2] Gunter Quarg: Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität, Köln / Weimar / Wien 1996, 13.
[3] Antrittsvorlesung von F. F. Wallraf als Professor der Botanik und der schönen Künste: Ueber die Naturgeschichte und Aesthetik, Köln, 14. November 1786, in: Joseph Hansen (Hg.): Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780-1801, Bd. 1: 1780-1791, Nachdruck der Ausgabe Bonn 1931, Düsseldorf 2003, 145-156, hier: 147.
[4] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 145.
[5] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 147f.
[6] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 146.
[7] Edwin Lange: Ferdinand Franz Wallraf und die rheinische Aufklärung. Wallrafs Entwicklung, Tätigkeit und Bedeutung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Diss. Bonn 1949, 66.
[8] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 146.
[9] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 146.
[10] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 146.
[11] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 149.
[12] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 150.
[13] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 150.
[14] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 150.
[15] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 151.
[16] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 152.
[17] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 154.
[18] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 156.
[19] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 7), 67.
[20] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 7), 70-72.
[21] Lange: Rheinische Aufklärung (wie Anm. 7), 78.
[22] Antrittsvorlesung (wie Anm. 3), 146.