Wege zur Rheinuniversität
Thea Fiegenbaum
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Bis zur Niederlage Napoleons I. standen die linksrheinischen Gebiete zwanzig Jahre lang unter französischer Herrschaft. Alliierte Mächte nahmen Köln am 14. Januar 1814 ein und beendeten damit die französische Besatzung. Auf dem Wiener Kongress wurden die Gebiete am 15. April 1815 zu Preußen geschlagen und unterstanden damit der Herrschaft des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840). Viele Städte versuchten nach dem Machtwechsel möglichst viele Institutionen, unter anderem Universitäten, in ihre Stadt zu ziehen. In Freiburg und Erlangen beispielsweise gelang es, die bereits vor Ort existierenden Hochschulen zu verteidigen. [1] Den linksrheinischen Gebieten versprach Friedrich Wilhelm III. nach seiner Besitzergreifung sowohl einen bischöflichen Sitz als auch eine Universität sowie weitere Bildungsanstalten. [2]
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Unklar ist, woher der erste Impuls zu einer rheinischen Universität stammte – ob von preußischen Reformern oder Sulpiz Boisserée (1783-1854). [3] Letzterer wandte sich im November 1813 mit der Forderung nach einer großen Universität in Köln unter anderem an General von Gneisenau (1760-1831), Fürst von Hardenberg (1750-1822) und Freiherr vom Stein (1757-1831). [4] Im Mai 1814 fasste Stein die Errichtung einer neuen Universität am Rhein ins Auge. Als geeignete Orte sah er Koblenz oder Bonn vor. [5] Philipp Joseph Rehfues (1779-1843), der zur gleichen Zeit Kreisdirektor Bonns wurde, griff das Vorhaben Steins in der Universitätsangelegenheit anschließend auf und nahm sie als Anregung für seine spätere Schrift „Die Ansprüche und Hoffnungen der Stadt Bonn, vor dem Thron ihres künftigen Beherrschers niedergelegt”. [6]
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Die neu zu gründende Universität sollte nicht nur der Forschung und Lehre dienen, sondern auch die sogenannte „innere Rückgewinnung der lange französisch gewesenen Gebiete betreiben und diese geistig dem Preußentum zurückführen”. [7] Nachdem Napoleon überwunden worden war, sollte die neue Hochschule insbesondere im Rheinland als „geistiges Bollwerk gegenüber französischen Einflüssen” [8] fungieren. Die preußischen Universitätsneugründungen wie Berlin oder Breslau stellten die Einheit der Wissenschaft als neues Grundprinzip heraus [9] und leiteten seit Herbst 1810 eine Epoche der Universitätsreformen ein. [10] Haase bemerkt: „Die Universitätslandschaft Preußens war traditionell reformorientiert.” [11] Ferner spricht er von einer europaweiten Akademiebewegung, die schon im 17. Jahrhundert einsetzte, und ein neuzeitliches Wissenschaftsverständnis etablierte. [12] Das 19. Jahrhundert bezeichnet Heimbüchel als das Zeitalter, in dem es im Bildungssystem zu einem Bruch „zwischen idealistisch-humanistischer Bildung, die durch die Einheit der Philosophie und ihrer Fakultät an den Universitäten gewährleistet wird, und den technisch-ökonomischen Realwissenschaften” kam. [13] Das Ergebnis war ein ganz neuer Typus der Institution Hochschule.
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Unter französischer Besatzung war, unter anderem im Schulwesen, eine moderne Verwaltungsstruktur geschaffen worden. Darauf baute die preußische Verwaltung zunächst weiter auf und beendete das Schuljahr 1813/1814 nach dem gewohnten Lehrplan. [14] Dennoch wurden die Sekundärschulen schließlich geschlossen und an ihrer statt im Frühjahr 1815 das katholische Jesuitengymnasium sowie zwei weitere Vorbereitungskollegien errichtet. [15] Bisherige Verwaltungsformen wurden aufgelöst und durch einen neuen Verwaltungs- und Stiftungsrat ersetzt. Sie bildeten sich jeweils aus einem Dirigenten und neun Mitgliedern. [16] Der Stiftungsrat übte selbst keine Verwaltungstätigkeit aus, sondern überwachte den Verwaltungsrat. Zu ihm gehörten auch Wallraf und Eberhard von Groote (1789-1864). [17] Die Tätigkeit war offenkundig aufgrund der hohen Mitgliederzahl beschwerlich und unübersichtlich, sodass alle Mitglieder des Stiftungsrates zeitgleich um ihre Entlassung baten. [18] Am 27. August 1818 wurde er aufgelöst und der Verwaltungsrat selbst übernahm seine Aufgaben. [19]
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Realisiert wurde die rheinische Universität schließlich mit der Eröffnung der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn am 27. November 1818. Die preußischen Ministerien erhielten freie Hand bei der Einrichtung einer überregional organisierten Rheinuniversität nach dem erfolgreichen Muster von Berlin und Breslau. [20] Sie sollte schließlich nicht nur die Wissenschaft fördern, sondern auch die politische Herrschaft in den westlichen Provinzen festigen. [21] Pabst resümiert:
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„Zweifellos war dies ein Akt geistiger Modernisierung der Rheinlande, der mit der Wiederherstellung der Kölner Universität womöglich unter Übernahme ihrer früheren Professoren nicht zu erreichen gewesen wäre. […] Die hochschulpolitische Rivalität der beiden Nachbarstädte ist aber auch 1818 nur unterbrochen, nicht beseitigt worden, bis sie am Ende des Jahrhunderts im wieder zunehmenden Selbstbewußtsein des Kölner Bürgertums zu neuem Leben erwachte.” [22]
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Bonn setzte sich damit gegen Köln und auch Duisburg durch. Die 1655 gegründete Duisburger Landesuniversität wurde aufgelöst und ihr Name ‚Friedrich-Wilhelms-Universität' auf die neue Universität in Bonn übertragen, nun mit Bezug zu König Friedrich Wilhelm III. [23] Ihr erster Rektor wurde August Wilhelm von Schlegel (1767-1845), der zuvor den Ruf auf eine Professur an der Berliner Universität abgelehnt hatte. [24] Die Zahl der Studierenden an der jungen Universität Bonn stieg seit ihrer Gründung kontinuierlich an. Erstmals wurden 1827 über tausend Immatrikulationen gezählt. [25]
Anmerkungen
[1] Dietrich Höroldt: Die Rivalität der Universitätsstädte Köln und Bonn, in: Hans Blum (Hg.): Aus kölnischer und rheinischer Geschichte. Festgabe Arnold Güttsches zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln 1969, 189-214, hier: 197.
[2] Jürgen Herres: Köln in preußischer Zeit 1815-1871, Köln 2012, 39.
[3] Dietrich Höroldt: Stadt und Universität. Rückblick aus Anlaß der 150 Jahr-Feier der Universität Bonn, Bonn 1969, 13.
[4] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 3), 13.
[5] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 3), 13.
[6] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 3), 14.
[7] Doris Pinkwart: Das gelehrte Bonn im 19. Jahrhundert, Köln 1989, 9.
[8] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 3), 13.
[9] Höroldt: Stadt und Universität (wie Anm. 3), 13.
[10] Sven Haase: Berliner Universität und Nationalgedanke 1800-1848. Genese einer politischen Idee, Stuttgart 2012, 27.
[11] Haase: Berliner Universität (wie Anm. 10), 76.
[12] Haase: Berliner Universität (wie Anm. 10), 74.
[13] Bernd Heimbüchel: Die neue Universität. Selbstverständnis – Idee und Verwirklichung, in: Ders. / Klaus Pabst (Hg.): Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Wien 1988, 101-692, hier: 112.
[14] Nathalie Damesme: Öffentliche Schulverwaltung in der Stadt Köln von 1794-1814, Köln / Weimar / Wien 2003, 237.
[15] Tanja Ahrendt: 200 Jahre Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds. Die zentrale Verwaltung der Studienstiftungen und des alten Schulvermögens, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hg.), Bildung stiften, Köln 2000, 58-83, hier: 70.
[16] Ahrendt: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (wie Anm. 15), 68f.
[17] Ahrendt: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (wie Anm. 15), 68f.
[18] Ahrendt: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (wie Anm. 15), 69.
[19] Ahrendt: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (wie Anm. 15), 69.
[20] Klaus Pabst: Der Kölner Universitätsgedanke zwischen Französischer Revolution und Preußischer Reaktion (1794-1818), in: Bernd Heimbüchel / Ders. (Hg.): Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Wien 1988, 1-99, hier: 77.
[21] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 20), 77. Vgl. auch Höroldt: Rivalität (wie Anm. 1), 196.
[22] Pabst: Kölner Universitätsgedanke (wie Anm. 20), 77.
[23] Pinkwart: Bonn (wie Anm. 7), 7.
[24] Haase: Berliner Universität (wie Anm. 10), 174.
[25] Pinkwart: Bonn (wie Anm. 7), 10.