Anlass dieses Tausches waren zwei Versionen des Tod Mariens von Joos van der Beke (ca. 1475-1535), auch bekannt als Joos van Cleve. [2] Wallraf war ursprünglich im Besitz der größeren Version des Gemäldes gewesen, während die Brüder die kleinere Version erworben hatten. Die zwei Altarbilder waren Anfang des 16. Jahrhunderts von den Brüdern Nicasius und Georg Hackeney in Auftrag gegeben worden. [3] Die kleinere Version aus dem Jahr 1515 war für den Hausaltar der Familie bestimmt und die größere Version für den Lettner in St. Maria im Kapitol. [4] Heute befindet sich das größere Bild, welches von den Brüdern Boisserée mitgenommen wurde, in der Alten Pinakothek in München. Das andere hängt im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. [5]
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Der Tod Mariens ist der Mittelteil eines Triptychons. Im Mittelpunkt steht das überdachte Bett Mariens, um das die Apostel stehen oder knien. Die Szene und die Figuren sind bei beiden Gemälden gleich, doch die Darstellung ist verändert. Auf dem Bild, das heute in München hängt, guckt der Betrachter von vorn auf das Bett. Das kölnische Bild zeigt eine Seitenansicht, das Kopfteil des Bettes zeigt nach links. [6] Auch die Figuren der Apostel sind unterschiedlich gruppiert.
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Die Tafel des Marientodes im Wallraf-Richartz-Museum ist also nur ein Teil eines mehrteiligen Altarbildes. Viele Sammler versuchten Denkmäler und Altertümer unter sich aufzuteilen, sodass jeder von einem einzelnen Stück etwas hatte. [7] Ein Grund dafür kann in der Sammelleidenschaft beziehungsweise Sammelwut gesehen werden. Die Brüder Boisserée haben hier sogar in Gemeinschaftsarbeit mit Ferdinand Franz Wallraf gehandelt und noch im Jahr 1816 ein Altarbild unter sich aufgeteilt. [8]
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Wallraf entnahm das größere Bild während seines Kanonikats an St. Maria im Kapitol aus der Kirche. [9] Die Brüder Boisserée kauften die kleinere Version von der Familie Hackeney. [10] Die Zuschreibung der Gemälde zu Joos van Cleve war lange umstritten – auch Wallraf und Boisserée wussten nichts Genaues über ihren Ursprung. [11] Dass die Boisserées 1810 ihr kleines Gemälde gegen das große von Wallraf eintauschten und ihm noch 19 weitere Gemälde dazu schenkten, lässt sich darauf zurückführen, dass sie das größere Gemälde für das ältere und damit wertvollere hielten. [12] Bianca Thierhoff vermutet zusätzlich, dass ein weiterer möglicher Grund für den eher ungleichen Tausch der Weggang der Boisserées aus Köln war. [13] Vor ihrem Umzug nach Heidelberg wollten die Brüder ihrer Vaterstadt einige wichtige Werke der Kölner Schule überlassen.
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Ein weiteres Werk, welches sich heute im Wallraf-Richartz-Museum befindet und ursprünglich Teil der Sammlung der Brüder Boisserée war, gelangte vermutlich ebenfalls über das umfangreiche Tauschgeschäft Wallrafs Sammlung. Es handelt sich dabei um den mittleren Teil eines Triptychons, auf welchem die Verwandtschaft Christi, also das Thema der Heiligen Sippe dargestellt ist. Ein Tagebucheintrag von Sulpiz Boisserée (1783-1854) scheint diesen Verdacht zu bestätigen. [14]
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Kennengelernt hatten sich Ferdinand Franz Wallraf und die Brüder Boisserée um 1800, als die Brüder kaum älter als 20 Jahre waren und Wallraf bereits seit geraumer Zeit Professor und Sammler war. Wallrafs Vorliebe für die Kölner Malschule und seine Versuche die Kölner Kunst während der Säkularisation zu bewahren, wurde den Brüdern ein Vorbild, wie Sulpiz in seinem Tagebuch schreibt. [15] Als die Brüder zu sammeln begannen, wurde die Beziehung freundschaftlich, man half sich gegenseitig und tauschte sich aus. [16] Allerdings kühlte das Verhältnis im Laufe der Zeit deutlich ab. Der Umzug der Brüder nach Heidelberg brachte ihnen einige Kritik aus Köln ein, da ihre Sammlung nicht nur Kölner Gemälde beinhaltete, sondern darüber hinaus auch dem guten Ruf der Stadt gedient hatte. Die Stadt selbst besaß zu diesem Zeitpunkt keine eigene Sammlung. Aus einem Brief Sulpiz Boisserées an einen Freund in Köln lässt sich sein Ärger über die Vorwürfe herauslesen: „Wir haben es aus einzelnen Aeußerungen von Schenkendorf und Savigny wohl gemerkt, wie man unter dem Deckmantel der patriotischen Liebe für die Stadt Köln den Schein auf uns wirft, als wären wir unrechtmäßiger Weise mit den Kunstsachen ausgewandert!“ [17]
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Auch der patriotische Wallraf äußerte laut Sulpiz Boisserée solche Vorwürfe. Letzterer wehrte sich heftig. Wallraf habe nachlässig gehandelt, Gemälde verkommen lassen oder als unwürdig erachtet, sei nun aber auf die Boisserées, die es besser wussten, eifersüchtig. [18] So schreibt Sulpiz am Ende seines Briefes: „Daß Wallraf den eigentlichen Geist und Werth der altdeutschen Kunst nicht versteht, hat er längst bewiesen, sonst würde er so viele treffliche Werke, die er reklamieren konnte, nicht haben zu Grunde gehen lassen, und würde er von uns nicht zwanzig Bilder haben ertauschen müssen, um doch Ehren halber einigermaßen eine Folge von alten Meistern zu besitzen.“ [19] Aus dem gemeinsamen Sammeln wurde so ein Konkurrenzkampf, den die Brüder allerdings für sich entscheiden konnten, da ihre Sammlung über Landesgrenzen hinweg Bekanntheit erlangte. Ihr Vorgehen unterschied sich sehr von Wallrafs, denn während dieser aus lokalpatriotischen Motiven zur Bewahrung sammelte, ging es den Brüdern von Beginn an um die Präsentation der mittelalterlichen Kunst im Sinne Schlegels. Dabei nutzten sie ihr kaufmännisches Wissen ebenso wie die Gunst bedeutender Fürsprecher, um ihr Vorhaben voran zu treiben. [20] So bemühte Sulpiz Boisserée sich besonders um die Freundschaft Johann Wolfgang von Goethes. [21]
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Der Generationenunterschied wird ein Faktor in den unterschiedlichen Herangehensweisen gewesen sein. Trotz der gemeinsamen Ziele wie der ästhetischen Bildung der Öffentlichkeit und der Errichtung der Kölner Universität und eines Kölner Museums, unterschieden sich die Ansichten der Sammler sehr. Wallraf war in erster Linie Lehrer und sammelte für Köln, wohingegen alles Streben der Boisserée ihrer Galerie galt. Fehlenden Lokalpatriotismus kann man ihnen jedoch nicht nachsagen, denn sie kamen häufig nach Köln zurück und es war Sulpiz‘ Lebenswerk den Weiterbau des Doms zu fördern, was ihm mit anderen Mitstreitern auch gelang. [22]
Anmerkungen
[1] Bianca Thierhoff: Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824). Eine Gemäldesammlung für Köln, Köln 1997, 123.
[2] Max J. Friedländer: Die altniederländische Malerei, Bd. 9: Joos van Cleve, Jan Provost, Joachim Patenier, Berlin 1931, 22f.
[3] Friedländer: Altniederländische Malerei (wie Anm. 2), 22f.
[4] Thierhoff: Gemäldesammlung (wie Anm. 1), 123.
[5] Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 82. Siehe auch R. Wagner: Aus der Hacqueney’schen Hauskapelle. Bild der 6. Woche - 5. bis 11. Februar 2007, URL: https://www.museenkoeln.de/portal/bild-der-woche.aspx?bdw=2007_06 (6.3.2017).
[6] Friedländer: Altniederländische Malerei (wie Anm. 2), 34.
[7] Eduard Firmenich-Richartz: Die Brüder Boisserée. Sulpiz und Melchior Boisserée als Kunstsammler, Jena 1916, 33.
[8] Deeters: Wallraf (wie Anm. 5), 83.
[9] Firmenich-Richartz: Brüder Boisserée (wie Anm. 7), 31.
[10] Thierhoff: Gemäldesammlung (wie Anm. 1), 123.
[11] Friedländer: Altniederländische Malerei (wie Anm. 2), 23f.
[12] Thierhoff: Gemäldesammlung (wie Anm. 1), 123. Vgl. auch R. Wagner: Hacqueney’sche Hauskapelle (wie Anm. 5).
[13] Thierhoff: Gemäldesammlung (wie Anm. 1), 123.
[14] Thierhoff: Gemäldesammlung (wie Anm. 1), 125.
[15] Sulpiz Boisserée: Tagebücher, Bd. 1: 1808-1823., hrsg. von Hans-Joachim Weitz, Darmstadt 1978, 26.
[16] Deeters: Wallraf (wie Anm. 5), 80f.
[17] Abgedruckt in Firmenich-Richartz: Brüder Boisserée (wie Anm. 7), 68.
[18] Brief an Dr. Schmitz in Firmenich-Richartz: Brüder Boisserée (wie Anm. 7), 68.
[19] Abgedruckt in Firmenich-Richartz: Brüder Boisserée (wie Anm. 7), 70.
[20] Deeters: Wallraf (wie Anm. 5), 74.
[21] Annemarie Gethmann-Siefert: Einleitung. Kunst als Kulturgut, in: Dies. / Bernadette Collenberg-Plotnikov / Elisabeth Weisser-Lohmann (Hg.): Kunst als Kulturgut, Bd. 1: Die Sammlung Boisserée. Von privater Kunstbegeisterung zur kulturellen Akzeptation der Kunst, München 2011, 9-57, hier: 37.
[22] Arnold Wolff: Ansichten, Risse und einzelne Theile des Doms von Köln, in: Annemarie Gethmann-Siefert / Bernadette Collenberg-Plotnikov / Elisabeth Weisser-Lohmann (Hg.): Kunst als Kulturgut, Bd. 1: Die Sammlung Boisserée. Von privater Kunstbegeisterung zur kulturellen Akzeptation der Kunst, München 2011, 281-298, hier: 286.