Exkurs: Ein Beispiel aus Wallrafs Bibliothek

Dominique Nadine Walraevens

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Zu Ferdinand Franz Wallrafs Sammlungen gehörte auch eine umfangreiche Bibliothek. Das hier vorgestellte Werk „Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre oder Grammatik für die Schulen[1] von Immanuel Johann Gerhard Scheller aus dem Jahre 1786 ist nur eines der zahlreichen Bücher aus Wallrafs Bibliothek, die heute in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln aufbewahrt werden.

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Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, wer Immanuel Johann Gerhard Scheller war. Geboren wurde er am 22. März 1735 in Ihlow, einem Dorf im heutigen Brandenburg, als jüngstes von neun Kindern. Benannt ist er nach seinem Vater Johann Gerhard Scheller, der fünf Jahre nach der Geburt seines Sohnes verstarb. Immanuels Mutter scheint daraufhin mit den Kindern mehrere Jahre von Ort zu Ort gezogen zu sein, bis sich die Familie 1747 in Eisenberg niederließ. Am dortigen Lyzeum erhielt Immanuel bis 1752 Unterricht und wechselte nach seinem Abschluss an die Thomasschule in Leipzig. Dort entdeckte man seine große Begabung für die lateinische Sprache. [2] Ab 1757 „studirte [!] er auf der Leipziger Universität Theologie und Philologie“. [3]

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1761 nahm er eine Stelle als Rektor des Lyzeums in Lübben in der Niederlausitz an und arbeitete dort zehn Jahre. 1771 berief ihn der preußische Unterrichtsminister Karl Abraham Freiherr von Zedlitz (1731-1793) [4] auf „die Stelle als Rector und Professor des königl. Gymnasiums in Brieg.“ [5] Diesen Posten hatte Scheller bis zu seinem Tod am 5. Juli 1803 inne. [6]

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Titelblatt Schellers Grammatik

Bild: ©USB Köln/ gemeinfrei

Schellers literarische Werke führten zu außergewöhnlichen Erfolgen. [7] Seine erste Abhandlung „De historiae antiquae utilitate“ erschien 1760. Richard Hoche urteilte 1890: „Seine lexikalischen Arbeiten [bildeten] die Grundlage für alle späteren Arbeiten dieser Art [und] sichern ihm ein ehrenvolles Andenken für alle Zeiten.“ [8] Vor allem Schellers lateinische Grammatiken waren zu seiner Zeit sehr gebräuchlich und verbreitet. Es handelt sich um die „Ausführliche lateinische Sprachlehre“ aus dem Jahre 1779 und die „Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre“ von 1780. [9] Letztere wird im Folgenden genauer untersucht.

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Bei der Ausgabe von Immanuel Schellers „Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre oder Grammatik für die Schulen“ [10], welche sich noch heute in Wallrafs Bibliothek befindet, handelt es sich um eine Zweitausgabe aus dem Jahr 1786. Scheller selbst schreibt in seinem Vorbericht, dass er im Vergleich zur Erstausgabe nur Verbesserungen und kleine Zusätze angebracht habe. [11] In der Vorrede des Werkes erläutert er den Grund dafür, dass er nach seiner ausführlichen lateinischen Sprachlehre noch eine kürzere Darstellung schrieb: Einige Lehrer hätten ihn wissen lassen, dass sein ausführliches Werk für sie selbst und die Schüler der oberen Klassen, die Latein studieren wollten, ausgezeichnet sei. Für die mittleren und unteren Klassen oder überhaupt für den Gebrauch in Schulen sei sie jedoch „zu weitläufig“ [12] und „zu kostbar“. [13] Aus diesem Grund habe Scheller die kürzere Fassung geschrieben. Dabei habe er „alles, was möglich gewesen, ins Kurze gezogen, doch das Wesentliche beibehalten; folglich vieles weggelassen, was geschickte Schulmänner von selbst dazu setzen können, zumal wenn sie [seine] grössere Sprachlehre haben, […].“ [14] Zudem habe er bei Deklinationen und Konjugationen an die Stelle der bloßen Endungen durchdeklinierte bzw. konjugierte Beispielwörter gesetzt. Allerdings halte er es für besser, wenn die Schüler nur die Endungen lernen, da ansonsten sehr viele Wörter aufgelistet werden müssten. [15]

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Im weiteren Verlauf seiner Vorrede gibt Scheller an, dass sein Wörterbuch, welches er 1779 geschrieben hat, „durch die Bemühung geschickter Schullehrer und andrer Kenner in unzähliger Schüler Händen sich befindet.“ [16] Scheller scheint sich über die große Verbreitung seiner Werke zu freuen. Außerdem erklärt er an mehreren Stellen seine Lehrmethoden: „Man muß mit Kindern bald etwas zusammenhängendes anfangen, damit ihr Verstand zusammendenken lernt, und Lehrer und Schüler nicht die Aufmerksamkeit und Geduld verliert.“ [17] An späterer Stelle stellt er seine Vorgehensweise bei der Lehre der lateinischen Sprache vor, damit vielleicht einige Lehrer diese übernehmen:

„Ich habe sie zuerst die fünf Declinationen hurtig lernen lassen, mit dem Deutschen es aber nicht zu genau genommen: dies geschah in drei bis höchstens sieben Tagen: hernach ließ ich bald Präpositionen dazu setzen, damit sie doch sähen, warum man declinierte, bald auch Adiectiva, und hier hörten sie erst, was ein Substantiv, was ein Adjectiv sei, hier hörten sie von den Gradibus, die ihnen durch das Deutsche erläutert wurden: declinieren ließ ich die Adiectiva bloß nach Substantivis […]. Darauf ließ ich sie hurtig die Konjugationen lernen; und auf die Formation Achtung geben: mit dem Deutschen nahm ichs nicht zu genau: dies nahm einige Tage, höchstens eine Woche weg. Nun ließ ich sie zusammen setzen […]. Nun schritt ich, nachdem der ganze Unterricht zwei, höchstens drei Wochen gedauert hatte, zu Uebersetzung eines lateinischen Aufsatzes […]. Und nun ließ ich erst recht declinieren und conjugiren […], und besonders ließ ich oft wiederholen.“ [18]

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Die gesamte Vorrede verdeutlicht, dass Scheller seine „Ausführliche lateinische Sprachlehre“ von 1779 als besser erachtet und die „Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre“ nur auf Drängen der Lehrer geschrieben zu haben scheint. [19] Sie habe vor allem „den Beifall der Kenner“ [20] erhalten und ihr sei „der Vorzug vor allen bisherigen Grammatiken gegeben“ [21] worden. Zudem rechtfertigt er den Gebrauch einer anderen Grammatik – der „Langischen Grammatik“ [22] – gegenüber seiner. Denn die Langische sei schon an sehr vielen Orten eingeführt und häufig gedruckt worden. Allerdings ist Scheller überzeugt, dass sein Werk trotzdem gebraucht werden wird, wenn die Lehrer ihre Vorurteile gegenüber allem Neuen aufgeben würden. [23]

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Das Inhaltsverzeichnis der „Kurzgefaßten lateinischen Sprachlehre“ macht deutlich, wie Scheller seine Sprachlehre gegliedert hat. Es gibt einen ersten und einen zweiten Teil, einen summarischen Inhalt sowie einen Anhang. Der erste Teil erstreckt sich über mehr als hundert Seiten und ist in verschiedene kleine Kapitel und Unterkapitel unterteilt. Seine Gesamtüberschrift lautet: „Von einzelnen Wörtern.“ [24] Der zweite Teil beginnt auf Seite 126 und endet auf Seite 255 und hat die Überschrift: „Von der Zusammenfügung der Wörter.“ [25] Danach folgen, wie auch beim ersten Teil, verschiedene Kapitel und Unterkapitel. Der summarische Inhalt erstreckt sich von Seite 256 bis Seite 309 und der Anhang von Seite 309 bis 336. [26]

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Ferdinand Franz Wallraf besaß wie erwähnt die Zweitausgabe von Immanuel Johann Schellers Werk „Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre oder Grammatik für die Schulen“ aus dem Jahre 1786. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass auch er diese Ausgabe bevorzugte – ob für sich selbst oder seine Schüler muss dabei offen bleiben. Eventuell hat aber auch schlichtweg ein möglicher Preisunterschied zwischen der „Kurzgefaßten lateinischen Sprachlehre“ und der „Ausführlichen lateinischen Sprachlehre“ beim Erwerb den entscheidenden Ausschlag gegeben.

 

Anmerkungen

[1] Immanuel Johann Gerhard Scheller: Kurzgefaßte lateinische Sprachlehre oder Grammatik für die Schulen, München 1786. (Digitalisat Scheller: Sprachlehre)

[2] Vgl. Richard Hoche: „Scheller, Immanuel Johann Gerhard“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), 768-770 [Onlinefassung]. URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn117216151.html?anchor=adb (15.3.2017).

[3] Vgl. Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[4] Ausführlich zur Person von Zedlitz: Carl Rethwisch: „Zedlitz, Karl Abraham Freiherr von", in: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), 744-748 [Onlinefassung]. URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd118808354.html#adbcontent (15.3.2017).

[5] Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[6] Vgl. Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[7] Vgl. Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[8] Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[9] Vgl. Hoche: Scheller (wie Anm. 2).

[10] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1).

[11] Vgl. Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorbericht.

[12] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 2v.

[13] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 2v.

[14] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 3r.

[15] Vgl. Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 3r.

[16] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 3v.

[17] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 4r.

[18] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 5v-6v.

[19] Vgl. Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede.

[20] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 4v.

[21] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 4v.

[22] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 4v.

[23] Vgl. Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Vorrede, 5r.

[24] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Inhaltverzeichnis.

[25] Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Inhaltsverzeichnis.

[26] Vgl. Scheller: Sprachlehre (wie Anm. 1), Inhaltsverzeichnis.

Empfohlene Zitierweise
Dominique Nadine Walraevens, Exkurs: Ein Beispiel aus Wallrafs Bibliothek, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Exkurs: Ein Beispiel aus Wallrafs Bibliothek (Datum des letzten Besuchs).