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Während die Symmetrie auf die französische Gartenkunst zurückzuführen ist, steht die Bepflanzung des Melatenfriedhofs in englischer Tradition. Zwar verzichtete man in Köln auf geschwungene Wege, Hügel oder gar kleinere Gewässer, jedoch sollte der Melatenfriedhof zu einem Ort der Ruhe werden, an dem die Hinterbliebenen der Verstorbenen Trost finden und sich ein friedliches Bild des Todes ergibt, welches im Gegensatz zum furchterregenden, barocken Todesgedanken stehen sollte. [11] Dass Wallraf aus Melaten einen friedlichen Ort des Gedenkens machen wollte, zeigt auch eine von ihm und Johann Joseph Mannebach (1765-1832) konzipierte Inschrift am mittleren Eingangstor auf Seiten der Aachener Straße, die den christlichen Glauben an eine Erlösung und ein Leben nach dem Tod bezeugt. [12]
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Der bereits erwähnte Bepflanzungsplan Weyhes zeigt, dass etwa 380 Bäume zur Gestaltung des Friedhofs vorgesehen (jedoch nicht umgesetzt) waren: den Hauptweg zieren auch heute noch Platanen, die Nebenwege wurden mit Lindenbäumen geschmückt. Später kamen noch diverse andere Pflanzen-, Hecken- und Baumarten hinzu. [13] Ein Aquarell Johann Peter Weyers (1794-1864) aus dem Jahre 1838 zeigt den recht spärlich bepflanzten Melatenfriedhof. [14] Während eine aktuelle Fotografie die monumental wirkenden Bäume sowie nach 1838 entstandene Grabmäler abbildet, sieht man auf Weyers Aquarell rechts hinter den Grabmälern schmale, junge Bäume (vermutlich die von Weyhe geplanten Platanen) sowie ein Hochkreuz im Hintergrund. Die jungen Bäume verdeutlichen, dass der Stadt vermutlich die finanziellen Mittel fehlten, um schon ausgewachsene Bäume nach Köln zu transportieren und hier anzupflanzen, wie es beispielsweise in Chatsworth House in Derbyshire, England, im Rahmen der Erweiterungen des Landschaftsgartens der Fall gewesen ist. [15] Während links ein Pfeiler sowie die Begrenzung des von Christoph Stephan (1797-1864) konzipierten Grabmals der Familie Fischer mit den zwölf Stationen des Leidensweges Christi zu sehen sind, dokumentiert das Aquarell außerdem auch das Grabdenkmal der Familie Engels, den Obelisken des Delius-Grabes und die erste Wegekreuzung vor den im Norden folgenden Erweiterungen der östlichen Hauptachse. [16]
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Die Relevanz der Gartenbaukunst zeigt sich zudem in Begrifflichkeiten, die seinerzeit für Friedhofsanlagen genutzt wurden: so konnte ein Garten auch einzig eine Fläche geometrischer Form sein, die als Begräbnisfeld genutzt wurde. Aus dieser Funktion heraus entstanden Bezeichnungen wie „Totengarten“ [17] und „Ruhegarten“ [18]. So schrieb Richard Jakob August von Voit (1801-1870) 1825, die einstigen Gottesäcker seien „geeignet, schmerzhafte Vorstellungen zu erregen.“ [19], während ein symmetrisch angelegter Totengarten für Ruhe des Gemüts sorge. [20] Daraus wird ersichtlich, dass Voit gegen eine Anlage nach dem Beispiel englischer Gärten plädierte. Dennoch befasste er sich auch mit der Bepflanzung und Pflege der Grabmäler und Friedhofsanlagen, damit aus diesen „ein lieblicher Blumengarten“ [21] entstehe. [22] Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu kritischen Diskussionen zwischen Architekten und Gartenbaukünstlern bezüglich der Vor- und Nachteile französischer und englischer Landschaftsgestaltung. Dies verdeutlicht unter anderem eine Aussage des Architekten Emil Högg (1867-1954), der sich – im Gegensatz zu Voit – gegen eine regelmäßige Friedhofsarchitektur ausspricht, den Melatenfriedhof jedoch als gelungene Anlage ansieht:
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„Man meinte eines schönen Tages, die Regelmäßigkeit der Anlage allein sei Schuld an solcher Trostlosigkeit. Daß dem aber nicht so ist, daß vielmehr auch vollständig regelmäßige Anlagen von hohem landschaftlichem Reiz und eindringlichem Stimmungsgehalt sein können, zeigt z. B. der […] Friedhof von Melaten bei Köln […].“ [23]
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Eine Friedhofsanlage, die ähnliche Grundzüge aufweist wie der Melatenfriedhof in Köln, ist der sogenannte Neue Begräbnisplatz in Dessau. Der am 14. April 1787 gegründete Friedhof sollte zunächst die protestantische Idee der Gleichheit nach dem Tode in Form eines Verzichts auf jegliche Grabmäler versinnbildlichen. [24] Die von vornherein quadratische und in vier Felder geteilte Anlage, welche wiederum von Bäumen umrahmt sind, weist einige Gemeinsamkeiten mit dem Melatenfriedhof auf. [25]
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Auf beiden Friedhofsanlagen sollten die Reihengräber, welche in ihrer Symmetrie an französische Ideale der Gartenbaukunst erinnern, die Gleichheit nach dem Tode verdeutlichen [26] – ein Aspekt, welcher auf dem Melatenfriedhof außerdem in Wallrafs Inschriften thematisiert wird. [27] Zudem sollte in beiden Fällen der Friedhof die Kirche bzw. den Kirchhof als Bestattungsort ersetzen. [28] Die in englischen Landschaftsgärten begründete Idee, eine Art Elysium sowie einen „Ort für Andacht, Meditation und Trauer“ [29] zu erschaffen, in dem die Angst vor dem Tod genommen und ein Ruhepol geschaffen wird, wird durch die konzipierte Bepflanzung beider Friedhofsanlagen symbolisiert. [30]
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Diverse Autoren nennen des Weiteren den Pariser Friedhof Père Lachaise als Inspiration für Wallraf. [31] Tatsächlich sind die Gemeinsamkeiten zwischen Melatenfriedhof und Père Lachaise relativ gering. [32] Der Pariser Friedhof zeichnet sich insbesondere durch seine Parallelen zum englischen Landschafsgarten aus: geschwungene Wege, Hügel und eine üppige Bepflanzung, die das Pseudo-Natürliche der Begebenheiten betont. [33] Der laizistische Friedhof, der seit 1626 im Besitz der Jesuiten gewesen war und am 21. Mai 1804 erstmalig genutzt wurde, weist jedoch im nördlichen und südlichen Bereich Felder auf, die symmetrisch angelegt sind und regelmäßige, geometrische Formen der Aufklärungszeit aufgreifen. [34] Lediglich der Eingangsbereich des französischen Friedhofs mit einem pylonähnlichem Eingangstor und seiner halbkreisförmigen Einbuchtung [35] verfügt über Ähnlichkeiten zum Eingangstor des Melatenfriedhofs. Eine weitaus größere Ähnlichkeit jedoch weist das Eingangstor des Melatenfriedhofs mit dem des Schlosses Heltorf bei Düsseldorf auf, welches 1797 von Joseph Biarelle entworfen wurde. [36] Weniger die Topographie des Pariser Friedhofs als die Tatsache, dass er aufgrund der Bepflanzung einen „Fluchtpunkt“ [37] und eine Art „Oase“ [38] darstellt, scheinen für Wallraf hier von Relevanz gewesen zu sein.
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Es wird also deutlich, dass das Anlegen eines Friedhofs im 19. Jahrhundert in engem Zusammenhang stand mit der Gartenbaukunst französischen und englischen Stils. Sowohl die vermeintlich natürlichen Formen englischer Gärten als auch die strikte Strukturierung französischer Gartenanlagen spiegeln sich in diversen Friedhöfen wider, so auch im Kölner Melatenfriedhof.
Anmerkungen
[1] Norbert Fischer: Zwischen Naturästhetik und Technokratie. Zur Sozialgeschichte von Friedhöfen und Krematorien in der Moderne, in: Dorle Dracklé (Hg.): Bilder vom Tod. Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Münster / Hamburg / London 2001, 67-80, hier: 70.
[2] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 70.
[3] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 70.
[4] William Howard Adams: The French Garden 1500-1800, London 1982, 79f.
[5] Rita Hombach: Landschaftsgärten im Rheinland. Die Erfassung des historischen Bestands und Studien zur Gartenkultur des „langen“ 19. Jahrhunderts, Worms 2010, 67, Abb. 366.
[6] Hombach: Landschaftsgärten (wie Anm. 5), 187, Abb. 294.
[7] Marianne Vogt-Werling / Michael Werling: Der Friedhof Melaten in Köln. Alle Denkmäler und ihre Zukunft, Köln 2010, 11.
[8] [Stadtkonservatorin der Stadt Köln]: Der Friedhof Melaten in Köln-Lindenthal. Ein kulturhistorischer Überblick, in: Jürgen Roters (Hg.): 200 Jahre Melaten. Festschrift und Veranstaltungsprogramm, Köln 2010, 6–11, hier: 9. (Digitalisat Roters: Melaten); Konrad Adenauer / Volker Gröbe: Lindenthal. Die Entwicklung eines Kölner Vorortes, Köln 1987, 162.
[9] Ilona Priebe: Friedhof Melaten. Vom Leprosenhaus zur Millionenallee, 3. überarb. Aufl., Köln 2009, 8.
[10] [Stadtkonservatorin der Stadt Köln]: Friedhof Melaten (wie Anm. 8), 9.
[11] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 72.
[12] Johannes Bastgen: 200 Jahre Melaten. Gedanken zur Trauer- und Friedhofskultur, in: Jürgen Roters (Hg.): 200 Jahre Melaten. Festschrift und Veranstaltungsprogramm, Köln 2010, 22-25, hier: 22. (Digitalisat Roters: Melaten)
[13] Vogt-Werling / Werling: Friedhof Melaten (wie Anm. 7), 11.
[14] Vogt-Werling / Werling: Friedhof Melaten (wie Anm. 7), 11.
[15] Deborah Cavendish / Gary Rogers: The Garden at Chatsworth, London 2003, 56–58.
[16] Hans Vogts: Der Kölner Friedhof Melaten, Köln 1937, 42.
[17] Barbara Happe: „Tod ist nicht Tod – ist nur Veredelung sterblicher Natur.“ Friedhöfe in der Aufklärung, in: Hans Erich Bödeker / Martin Gierl (Hg.): Jenseits der Diskurse. Aufklärungspraxis und Institutionenwelt in europäisch komparativer Perspektive, Göttingen 2007, 345-367, hier: 365.
[18] Richard Jacob August Voit: Ueber die Anlegung und Umwandlung der Gottesäcker in abgeschiedene Ruhegärten der Abgeschiedenen, Augsburg 1825, 5.
[19] Voit: Gottesäcker (wie Anm. 18), 4.
[20] Voit: Gottesäcker (wie Anm. 18), 4.
[21] Voit: Gottesäcker (wie Anm. 18), 33.
[22] Happe: Friedhöfe Aufklärung (wie Anm. 17), hier: 366f.
[23] Emil Högg: Park und Friedhof. Vortrag auf der allgemeinen Städtebau-Ausstellung zu Berlin am 8. Juni 1910, München 1911, 4.
[24] Happe: Friedhöfe Aufklärung (wie Anm. 17), hier: 349f.; Vogt-Werling / Werling: Friedhof Melaten (wie Anm. 7), 11.
[25] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 70.
[26] Happe: Friedhöfe Aufklärung (wie Anm. 17), hier: 362-364.
[27] Adenauer / Gröbe: Lindenthal (wie Anm. 8), 163.
[28] [Stadtkonservatorin der Stadt Köln]: Friedhof Melaten (wie Anm. 8), 6.
[29] Priebe: Friedhof Melaten (wie Anm. 9), 5.
[30] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 71.
[31] Vogt-Werling / Werling: Friedhof Melaten (wie Anm. 7), 92, Fußnote 19; Franziska Bollerey / Kristiana Hartmann: Über der Erde, unter der Erde. Wie und wo begegnet die Gesellschaft dem Tod?, in: Gabriele Klein / Annette Treibel (Hg.): Skepsis und Engagement. Festschrift für Hermann Korte, Hamburg 2000, 303–352, hier: 322; Rolf Hosfeld: Die Totenstadt als Bühne. Spaziergänge auf Melaten, in: Merian Köln. Das Monatsheft der Städte und Landschaften 41 (1988), 90–92, hier: 90.
[32] Während der Melatenfriedhof zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Größe von etwa 3 Hektar aufwies und bis 1875 auf knapp 20 Hektar vergrößert wurde, lag die Größe des Pariser Friedhofs 1854 bei etwa 30 Hektar und 1922 bei etwa 43 Hektar, siehe Benjamin Gastineau: Le Père-Lachaise, Paris 1854, 16, sowie Jules Moiroux: Le Cimetière du Père Lachaise, Paris 41922, 15. (Digitalisat Moiroux: Cimetière) und Arnold Stelzmann: Illustrierte Geschichte der Stadt Köln, 3. verb. Aufl., Köln 1962, 239.
[33] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 70.
[34] Vogt-Werling / Werling: Friedhof Melaten (wie Anm. 7), 92, Fußnote 19; Gastineau: Père-Lachaise (wie Anm. 32), 15; Richard A. Etlin: The Architecture of Death. The Transformation of the Cemetery in Eighteen-Century Paris, Cambridge, Mass. 1984, 303.
[35] Etlin: Architecture (wie Anm. 34), 330, Abb. 236.
[36] Hombach: Landschaftsgärten (wie Anm. 5), 68, Abb. 370.
[37] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 71.
[38] Fischer: Naturästhetik (wie Anm. 1), 70; Priebe: Friedhof Melaten (wie Anm. 9), 5.