Wallraf als Schriftsteller - Bestandsaufnahme und Rezeption

Marius von Knobelsdorff unter Mitarbeit von Sebastian Schlinkheider

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In diesem Beitrag steht weniger die inhaltliche und gattungsbezogene Vielfalt der von Wallraf verfassten Werke im Vordergrund – dazu ist an anderer Stelle mehr zu lesen – stattdessen geht es um eine eher quantitative Analyse der Publikationstätigkeit Wallrafs und eine Betrachtung ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung und Nachwirkung.

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Ferdinand Franz Wallraf schrieb und veröffentlichte zahlreiche Werke. Das „Verzeichnis der Veröffentlichungen Wallrafs 1775-1984“ [1] listet 110 Publikationen auf, die jedoch zum Teil auch mehrfach abgedruckt worden sind. Insgesamt veröffentlichte Wallraf 97 unterschiedliche Schriften zu seinen Lebzeiten, dazu erschienen 18 posthume Veröffentlichungen. Hinzu kommen zahlreiche Beiträge in Kölner Zeitschriften, die Wallraf zum Teil selbst herausgegeben hat und die sicherlich noch nicht vollständig erfasst sind. Dabei sind in manchen Schriften gleich mehrere Beiträge von Wallraf enthalten. Als Beispiel dafür mag „Ubiens Musentafel oder Kölnisches Taschenbuch auf das VII Jahr der Republik, 1799 des übrigen Europa“ von 1798 dienen, eine Publikation, in der Wallraf unter eigenem Namen und unter vier Pseudonymen insgesamt 21 Beiträge verfasste.

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Über den Zeitpunkt der Veröffentlichungen gibt folgendes Diagramm [2] Aufschluss, das sich aus den Zahlen im von Joachim Deeters veröffentlichten Nachlassverzeichnis Wallrafs ergibt:

Von Wallraf zu Lebzeiten veröffentlichte Schriften pro Jahr

Bild: Knobelsdorff nach Zahlen von Deeters (siehe Anm. 2)

Einige charakteristische Eckdaten lassen sich hier erkennen: Sein erstes Werk veröffentlichte Wallraf im Jahr 1775, also im Alter von 27 Jahren. Bis 1797 publizierte er 20 Schriften, wobei zwischen einzelnen Veröffentlichungen zum Teil eine mehrjährige Pause lag. Von da an steigerte sich seine Publikationstätigkeit; bis 1822 veröffentlichte er recht kontinuierlich insgesamt 90 Schriften (nur für zwei Jahre, nämlich 1811 und 1817, wird keine Erscheinung verzeichnet), zum Teil in durchaus beachtlicher Dichte. Vor allem die Phase der französischen Zeit im Rheinland (1794-1814) weist einige Höhepunkte in Wallrafs publizistischer und literarischer Tätigkeit auf.

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Wie lassen sich Schwerpunkte oder Lücken in dieser Verteilung erklären? Wallraf war bis 1796 erst als Student, dann als Professor und schließlich als Rektor an der Universität beschäftigt, zudem war er Lehrer am Kölner Gymnasium Montanum. [3] Für diese Zeit lässt sich daher annehmen, dass Wallraf wohl nicht viel Zeit für Veröffentlichungen zur Verfügung gestanden hat, außerdem wird er als junger Mann zunächst noch nicht über ausreichend Kontakte verfügt haben, um zu publizieren. Von 1797 bis 1822 hatte er offenbar mehr Möglichkeiten und auch Anlässe zur Abfassung von Schriften, welche er rege nutzte: Die insgesamt 90 Veröffentlichungen während dieser 25-jährigen Periode erscheinen, verglichen mit den 20 Schriften in den vorherigen 22 Jahren, als eine große Steigerung. In seinem letzten Lebensjahr wurde von ihm nichts mehr veröffentlicht, was sicherlich mit Wallrafs hohem Alter (er wurde in dieser Zeit 75 Jahre alt) und der Beeinträchtigung durch seinen Schlaganfall zu begründen ist. [4]

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Viele der von Wallraf publizierten Texte waren Artikel in Zeitschriften oder Zeitungen – übrigens keinesfalls nur in den von ihm selbst herausgegebenen Organen. So schrieb er etwa ab 1805 in der Kölnischen Zeitung bzw. ab 1816 in deren Beiblatt in der Sonntagsausgabe. [5] Schon 1777 war ein Artikel Wallrafs in der Kaiserl. Reichs-Oberpostamts-Zeitung zu Köln, deren Vorgängerzeitung, erschienen. [6] Der Beginn seiner Tätigkeit für die Kölnische Zeitung im Jahr 1805 kann dadurch erklärt werden, dass in diesem Jahr Marcus DuMont (1784-1831) Eigentümer und Redakteur der Zeitung geworden war, die kurz vor dem Ruin gestanden hatte. Mit „seinem scharfen Blick für das Zeitgemäße, seiner Energie und Umsicht“ [7] gelang es dem neuen Eigentümer jedoch, das Blatt zu retten und schon im ersten Jahr die Abonnentenzahl von unter 250 auf 400 zu steigern. Die Mitarbeit von Wallraf an der Zeitung wird wahrscheinlich auf Wunsch von Marcus DuMont erfolgt sein: Beide waren miteinander befreundet, was sich auch daran zeigt, dass DuMont schließlich einer der Nachlassverwalter Wallrafs wurde. [8]

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Vereinzelt erschienen auch in anderen Zeitschriften Artikel Wallrafs, beispielsweise im Kölnischen enzyklopädischen Journal, im Mercure du dép. de la Roer und im Journal des Nieder- und Mittelrheins. [9] Weiterhin verfasste er in den Jahren 1808 bis 1810 mehrere Beiträge für die Kölnische Quartalschrift für Katholische Theologen, in denen er sich kirchlichen Themen widmete, geistliche Werke rezensierte und Nachrufe auf Persönlichkeiten verfasste, die der Kirche nahestanden. [10] Ein Bezug zum Religiösen zieht sich auch durch Wallrafs Lyrik und äußerte sich auch in der späten Beschäftigung mit dem geistlichen Lied. [11] Ein sicher weniger beachtetes, da nicht ganz offenkundig mit seinem Lebensweg verbundenes Themenfeld stellt schließlich Wallrafs Beschäftigung mit der Musik dar: So sind von ihm mehrere Gesänge bekannt, die zu bedeutenden Festtagen intoniert wurden, beispielsweise anlässlich eines Künstlerjubiläums, einer Erstkommunion oder einer Fronleichnamsprozession. [12] Das Bild eines vielseitigen literarischen Werkes Wallrafs, der sich offenbar sehr unterschiedlichen Themen – die meist aber natürlich einen Bezug zu seiner Heimatstadt Köln aufweisen – widmete, bestätigt sich mit diesen Themengebieten erneut.

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Sprachlich war Wallraf als Autor flexibel: Zur Zeit der französischen Besatzung verfasste er Texte auf Französisch, [13] er publizierte aber auch in lateinischer und deutscher Sprache. Zudem betätigte er sich auch als Übersetzer. [14] Seine Inschriften waren ursprünglich meist in Latein verfasst (so sind etwa auch die Inschriften am von Wallraf entworfenen Portal des Friedhofs Melaten und auch der dort zu findende Name: „Funeribus Agrippinensium Sacer Locus“ lateinisch), wobei Wallraf häufig die deutsche Übersetzung separat veröffentlichte. Sein Ziel, die Kölner Bevölkerung durch seine Tätigkeiten zu bilden und über die Kölnische Geschichte und Kultur zu informieren, zeigt sich also auch hier.

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In einem letzten Schritt soll nun ein Blick auf die Rezeption der Schriftstellerei Wallrafs geworfen werden: Dass Wallraf im Falle einiger lokalgeschichtlicher oder politisch nutzbarer Schriften einen direkten Auftrag zu seinen Texten bekam, zeigt die große Wertschätzung, die ihm in seiner Heimatstadt Köln auch auf dem literarischen Feld entgegengebracht wurde. Gertrud Wegener reiht Wallraf damit sogar – allerdings in Anführungszeichen – in eine Gruppe Kölner „Literaturpäpste“ ein, nämlich „Persönlichkeiten, die gefragt wurden, wo immer es um Literatur ging, und deren Urteil öffentliche Anerkennung genoss.“ [15] Vor dem Hintergrund der für das beginnende 19. Jahrhundert kulturell prägenden literarischen Bewegungen, vor allem der (Weimarer) Klassik und später der Romantik, schien Wallraf dabei für seine Heimatregion eine durchaus wichtige Position einzunehmen. Wegener konstatiert: „[…] eine kleine Anzahl von Gedichten aus den folgenden Jahren [nach Wallrafs erstem überlieferten Gedicht auf Johann Balthasar Joseph von Mühlheim von 1775, Anm. d. Verf.] erweckte bei den unter der kulturellen Rückständigkeit des Rheinlandes leidenden Zeitgenossen den Eindruck, als wäre ihnen mit Wallraf eine Persönlichkeit geschenkt, die fähig sei, den Anschluss an die literarische Entwicklung im übrigen Deutschland herzustellen. Zwar blieben Wallrafs Ausflüge in dichterische Gefilde – von der Gelegenheitsdichtung abgesehen – sehr bescheiden, der Ruf eines Dichters, mehr noch der eines literarischen Sachverständigen, aber begleitete ihn nach den ersten veröffentlichten Gedichten zeitlebens.“ [16]

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Im Jahr 1861 wurden anlässlich der Einweihung des Wallraf-Richartz-Museums und im Auftrag von Johann Heinrich Richartz „Ausgewählte Schriften“ Wallrafs herausgegeben. Diese Publikation enthielt neben einigen erstmals publizierten Denkschriften, Gedichten und Inschriften vor allem Wiederabdrucke bereits veröffentlichter Schriften. [17] Dieser Band gibt einen guten Überblick über die verschiedenen Gebiete der Literatur, mit denen sich Wallraf beschäftigte. Insgesamt lassen sich seine Texte vornehmlich den Kategorien Lyrik, Sachtext und Inschriften zuordnen; epische oder dramatische Werke verfasste er nicht. Dass Wallraf als produktiver Autor und literarische wie publizistische Stimme in seiner Zeit aber durchaus einflussreich war, erscheint in seinem heutigen Bild wenig verankert zu sein: „Mit der bleibenden Bedeutung, die er durch seine Sammlungen und seinen Einsatz für die Rettung der städtischen Kunstschätze erhielt, geriet in der Folgezeit seine Rolle im zeitgenössischen literarischen Leben der Stadt in Vergessenheit.“ [18] Wie sich gezeigt hat, lohnt es sich durchaus, diese in die Betrachtung seiner Person mit einzubeziehen.

 

Anmerkungen

[1] Joachim Deeters: Der Nachlass Ferdinand Franz Wallraf. (Bestand 1105) (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 71), Köln / Wien 1987, 361-367. Die posthumen Veröffentlichungen sind vor allem Denkschriften, Gedichte und Inschriften.

[2] Eigene Darstellung, nach: Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 361-367.

[3] Zu Wallrafs früher Lebensphase vgl. auch Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 6f. u. 9.

[4] Deeters erwähnt Wallrafs Schlaganfall vom 30. November 1827 (hier handelt es sich offensichtlich um eine fehlerhafte Jahresangabe, gemeint ist 1823), „von dem der Greis sich nicht mehr erholte“ und einen „langsamen Kräfteverfall“ bis zu seinem Tod am 18. März 1824. Deeters: Wallraf (wie Anm. 3), 108.

[5] Hinweis: Die folgenden Nummern in den Fußnoten zeigen die Veröffentlichungen Wallrafs an, wie sie im chronologischen Publikationsverzeichnis bei Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 361-367 aufgeführt sind. Vgl. hier Nummern 52, 54, 55, 56, 81, 86, 88, 88A, 96, 99, 107 und 109.

[6] Vgl. Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummer 2.

[7] So die Bewertung von Ludwig Salomon: Geschichte des Deutschen Zeitungswesens. Erster Band, Oldenburg u.a. 1906, 151f.

[8] Vgl. Rupp, Paul Berthold: Die Bibliothek Ferdinand Franz Wallrafs (1748-1824). Entstehung und Fortbestand, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 47 (1976), 47-114, hier: 79 sowie Deeters: Wallraf (wie Anm.3), 93.

[9] Vgl. Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummern 4a, 66, 76, 77, 86b.

[10] Vgl. Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummern 61, 62, 63, 64a, 65a, 68a. Dies tat Wallraf teilweise, um seine Schulden beim Herausgeber der Zeitschrift zu begleichen, vgl. Rupp: Bibliothek (wie Anm. 8), 60.

[11] Vgl. Gertrud Wegener: Literarisches Leben in Köln 1750-1850, Bd. 1: 1. Teil 1750-1814, Köln 2000, 89f.

[12] Vgl. Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummern 13, 39i, 47, 48, 59, 94, 98.

[13] Vgl. Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummern 45, 60, 66.

[14] Vgl. beispielsweise Wallrafs Publikationsverzeichnis (vgl. Anm. 5), Nummern 3, 6, 11.

[15] Wegener: Literarisches Leben (wie Anm. 11), 9.

[16] Wegener: Literarisches Leben (wie Anm. 11), 83.

[17] Johann Heinrich Richartz (Hrsg.): „Ausgewählte Schriften“ von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungs-Feier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861; Genaueres zu den Veröffentlichungen siehe ebd., 115. (Digitalisat Richartz: Schriften)

[18] Wegener: Literarisches Leben (wie Anm. 11), 83.

Empfohlene Zitierweise
Marius von Knobelsdorff, Wallraf als Schriftsteller, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Wallraf als Schriftsteller (Datum des letzten Besuchs).