Vanessa Skowronek
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Eberhard von Groote meldete sich als Volontäroffizier für den Kampf gegen Napoleon und verabschiedete sich öffentlich in einer Zeitungsanzeige im April 1815 mit den folgenden Worten: „Bei meiner schleunigen Abreise von hier zum Hauptquartier S[eine]r Ex[zellen]z des H[er]rn General-Lieutnants von Thielmann kann ich meinen Freunden und Bekannten nur dieses schriftliche Lebewohl sagen “. [1] Nach der Schlacht von Waterloo marschierte Groote mit der siegreichen preußischen Armee am 8. Juli 1815 in Paris ein.
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Schon am 5. Juli hatte Groote zunächst General Gneisenau (1760-1831) seine Bitte vorgetragen, mit der Reklamation der aus dem Rheinland geraubten Kunstschätze betraut zu werden. [2] Ob Groote, wie er 1824 behauptete, in seinem ganzen Handeln von vornherein nur von der Zurückeroberung geraubter Kunst bestimmt gewesen war, sei allerdings dahingestellt. [3] Aufgrund seiner Kenntnis der rheinischen Kunst wurde der erst 26-jährige Groote von Generalfeldmarschall Blücher (1742-1819) dann tatsächlich mit der Rückführung beauftragt. Blücher bevollmächtigte ihn am 10. Juli, „diejenigen Kunstschätze, welche sich in der Stadt Paris und dessen Umgebung befinden, früher aber in den Königlich Preußischen Staaten Französischer Seits geraubt und geplündert worden, sogleich in Beschlag zu nehmen, und nach den Orten zurückzusenden, wo sie sich früher befunden haben.“ [4] Das ‚sogleich‘ dürfte Groote wörtlich genommen haben: Noch am selben Abend des 10. Juli suchte er – den Quellen zufolge – den Louvre auf.
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Unausweichlich war in diesem Kontext ein Aufeinandertreffen mit Dominique-Vivant Denon (1745-1825), dem ‚Auge Napoleons‘ und Generaldirektor des Musée Napoléon. Diesem erklärte Groote unvermittelt, er werde am nächsten Morgen mit der Entfernung der Kunstgegenstände beginnen, und ließ seinen Worten Taten folgen: „es mochte den 11. Juli, etwa 11 Uhr Morgens sein, als vor allen andern die große Kreuzigung Petri, von P. P. Rubens für seine Vaterstadt Köln, und die Peterskirche daselbst, wo er getauft worden, gemalt, herabgenommen wurde.“ [5] Weitere Gemälde aus Berlin und Potsdam folgten. Da Groote Komplikationen und Widerstand vor allem von Seiten Denons erwartete, geschah diese Aktion in militärischer Begleitung. [6] Denon war vom ungestümen Auftreten des jungen Offiziers wenig angetan und beschwerte sich an höchster Stelle, bei König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840), über dessen Verhalten. [7] Die Reaktion Grootes ist einem öffentlichen Brief an Denon zu entnehmen. [8]
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Groote war sich offenbar bewusst, dass seine Mission eine einmalige Chance für die Rückführung der Kunstschätze darstellte, deren Erfolg allerdings an ein unmittelbares Handeln gebunden war: „nun oder nie; -durch mich oder niemand.“ [9] Er benötigte dafür jedoch eine Aufstellung der aus Köln entwendeten Kunstgegenstände. Ferdinand Franz Wallraf war schon im April 1814 für künftige Friedensverhandlungen mit dem Auflisten der geraubten Kunstgegenstände bzw. einer Kostenberechnung beauftragt worden, [10] woraus die „Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten“, entstanden war. [11] Noch bevor Groote überhaupt offiziell mit der Rückführung beauftragt wurde, hatte er schon Wallrafs Aufzeichnungen zu diesem Zwecke angefordert. [12] Vehement hatte er danach erneut seinen Bruder Joseph von Groote (1791-1866) gebeten, ihm die Aufstellung Wallrafs zukommen zulassen, um über alles, was er zu reklamieren berechtigt sein könnte, Bescheid zu wissen. Die hierbei sicherlich etwas überspitzte Aufforderung, „nöthige, quäle, plage, trete Wallraf“ [13] zeigt die Dringlichkeit des Anliegens.
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Nachdem Groote die Rückführung vieler Kunstgegenstände aus dem Louvre geglückt war, konnte er auch Gemälde aus anderen Museen zurückerlangen. Besonders die Suche nach Büchern, Urkunden und Handschriften gestaltete sich allerdings schwierig. Neben Grootes Leistungen ist hier der Verdienst von Jacob Grimm (1785-1863) zu nennen, durch den eine Reihe rheinischer Handschriften reklamiert werden konnte. [14] Die beiden trafen im September 1815 erstmals aufeinander. Auch wenn Grimm zunächst kaum etwas über Groote wusste, von dem Ruf, der ihm bei den Franzosen vorauseilte, einmal abgesehen, [15] schrieb er doch kurz darauf in einem Brief an seinen Bruder: Groote sei „ein feiner, braver und gescheidter Mann, mit dem ich gern umgehe.“ [16]
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Wegen seines ambitionierten und ehrgeizigen Vorgehens bei den preußischen Reklamationen wurde Groote auch mit den hessischen und brandenburgischen Anliegen betraut. [17] Da Grootes Mission erfolgreich verlief, konnten am Ende zahlreiche Kunstgegenstände zurückgegeben werden. Die wertvollsten Kunstwerke stellten neben der bereits genannten Kreuzigung Petri die Aachener Säulen und die Mumie des ‚Vogts von Sinzig‘ dar.
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Ungeachtet seiner Erfolge scheint Groote selbst dennoch das Bedürfnis verspürt zu haben, sich rechtfertigen zu müssen. Seinem Lehrer Wallraf versicherte er jedenfalls, sein Bestes getan zu haben, und empfahl ihm, sich erst einmal an dem zu erfreuen, was bereits zurückgebracht werden konnte. [18] Gleichzeitig war Groote sehr daran gelegen, dass die Kölner seine Verdienste honorierten. So verlieh er dem Wunsche Ausdruck, den Dank seiner „lieben Mitbürger “ zu erhalten. [19] Neben dem Anliegen, für seine Arbeit Anerkennung zu finden, war dieser Wunsch auch in finanzieller Hinsicht interessant. Als Freiwilliger erhielt Groote keine Bezüge, was ihm sehr missfiel. [20] Obwohl er nach eigenem Ermessen so ökonomisch wie möglich lebte, war er in einer Stadt wie Paris, „wo selbst das Wasser Geld kostet “ [21], auf Hilfe von daheim angewiesen. Er bat seinen Bruder, dieser möge verbreiten, welch hohe Ausgaben sein patriotisches Handeln erfordere, und dass er nicht wisse, woher er es nehmen solle; denn „alles Loben und Bewundern der lieben Kölner sey recht gut, aber ex nihilo nihil.“ [22] Zudem bat er den Verleger der Kölnischen Zeitung, Johann Marcus Dumont (1784-1831), seine Briefe über seine Pariser Mission zu veröffentlichen. [23]
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Im Herbst 1815 war die Rückführungsaktion im Wesentlichen zu Ende gebracht. Im November 1815 verließ Groote Paris und kam nach einigen Zwischenstationen im Dezember in Köln an. In einem im Dezember 1815 wohl von Wallraf verfassten Zeitungsartikel wurden die Verdienste des Rückkehrers gerühmt und ihm für die Rückbringung des Rubens gedankt. [24] Sehr zu seinem Missfallen musste Groote allerdings bald feststellen, dass der Umgang mit den zurückgebrachten Kunstgegenständen nicht überall so verlief, wie er es sich erhofft hatte: Die hart umkämpften Aachener Säulen standen 1824 noch immer „ganz ungenutzt neben der Domkirche.“ [25] Viele rheinische Kunstschätze, darunter die von ihm und Grimm wiedergefundenen Handschriften, wurden gar nicht, wie es in Blüchers Vollmacht für Groote gestanden hatte, in ihre Herkunftsorte zurückgebracht. Trotz hartnäckiger Proteste Grootes wurden die wertvollsten Handschriften, die eigentlich nach Köln gehörten, nach Berlin transportiert. Die Zerstreuung des kölnischen Kulturgutes, die 1794 mit den Franzosen begonnen hatte, wurde in diesem Falle von preußischer Regierung nahtlos fortgeführt.
Anmerkungen
[1] Welt- und Staatsboth, Nr. 60 vom 15.04.1805; Spiertz zeigt auf, dass es sich wohl um keine allzu schleunige Abreise gehandelt haben konnte: Vgl. Willi Spiertz: Eberhard von Groote. Leben und Werk eines Kölner Sozialpolitikers und Literaturwissenschaftlers (1789-1864), Köln / Weimar / Wien 2007, 66.
[2] Groote wandte sich diesbezüglich zunächst an Gneisenau, der das Angebot freudig annahm und ihn für den 10. Juli einlud. Dort stellte dieser dann den Kontakt zu Blücher her.
[3] Eberhard von Groote: Die Wegnahme der durch die Franzosen geraubten Kunstschätze in Paris 1815, in: Agrippina. Zeitschrift für Poesie, Literatur, Kritik und Kunst 1 (1824), Nr. 25, 97-99. Dass dies tatsächlich von Beginn an Grootes Anliegen gewesen sein soll, scheint unwahrscheinlich, da er dies in seinen privaten Tagebüchern nicht erwähnte, vgl. Spiertz: Eberhard von Groote (wie Anm. 1), 69.
[4] Die Vollmacht Blüchers ist abgedruckt in: Groote: Wegnahme (wie Anm. 3), Nr. 26, 102-103, hier: 102.
[5] Groote: Wegnahme (wie Anm. 3), Nr. 27, 106-107, hier: 107.
[6] Auch dies war ihm in der Vollmacht Blüchers zugesprochen worden: „Es werden demnach hierdurch alle und jede Militair- und Zivil-Behörden dienstlichst ersucht und angewiesen, diesem meinem Bevollmächtigten nicht allein bei der Ausführung seines Auftrags keine Hindernisse in den Weg zu legen, sondern denselben auch nach allen Kräften und selbst durch militairische Exekution zu unterstützen“, siehe: Groote: Wegnahme (wie Anm. 3), Nr. 26, 102-103, hier: 102.
[7] Der Brief von Vivant Denon an König Friedrich Wilhelm von Preußen vom 21.08.1815 ist abgedruckt in Groote: Wegnahme (wie Anm. 2), Nr. 32, 125-127, hier: 125f.
[8] Vgl. Rheinischer Merkur Nr. 299 vom 15.9.1815.
[9] Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 12. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 13. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[10] Vgl. Benedicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierung in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 241.
[11] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 187-223. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)
[12] Vgl. Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 9. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 12. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[13] Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 12. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 13. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[14] Jacob Grimm (1785-1863) war schon 1814 für Reklamationen in Paris gewesen und war im September 1815 von der preußischen Regierung erneut beauftragt, um dort Handschriften ausfindig zu machen.
[15] Vgl. Jacob Grimm an Wilhelm Grimm, Paris, 23.September 1815. In: Heinz Rölleke (Hg.): Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Kritische Ausgabe in Einzelbänden, Bd. 1.1: Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm. Text, Stuttgart 2001, 454-457, hier: 455.
[16] Vgl. Jacob Grimm an Wilhelm Grimm, Paris, 10. November 1815. In: Heinz Rölleke (Hg.): Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Kritische Ausgabe in Einzelbänden, Bd. 1.1: Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm. Text, Stuttgart 2001, 463-464, hier: 463.
[17] Vgl. Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 17. August 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 21. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[18] Vgl. Eberhard von Groote an Ferdinand Franz Wallraf, Paris, 24. August 1815. In: Leonard Ennen: Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, 246-248, hier: 247. (Digitalisat Ennen: Zeitbilder)
[19] Vgl. Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 19. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 16. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[20] Als „armer Volontaire“ so Groote, sei „ja überhaupt vom Könige nichts zieht [zu ziehen], als die Erlaubniß einen zweyfarbigen Rock zu tragen.“ Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 17. August 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 21. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[21] Vgl. Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 19. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 16. (Transkription Elisabeth Schläwe)
[22] Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 4.-5. August 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 19. (Transkription Barbara Becker-Jákli, in: Eberhard von Groote: Tagebuch 1815–1824. Erster Band 1815, bearb. von Barbara Becker-Jákli, Düsseldorf 2015, 316-320.)
[23] Vgl. Spiertz: Eberhard von Groote (wie Anm. 1), 78.
[24] Kölnische Zeitung Nr. 6 vom 11.1.1816.
[25] Groote: Wegnahme (wie Anm. 2), Nr. 32, 125-127, hier: 127. Unter Friedrich Wilhelm IV. wurden die Säulen dann in den 1840er Jahren wiederaufgestellt.