Die Bursen und die alte Universität
Laura Valentini
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Neben der städtischen Initiative und Trägerschaft ist auch die Dominanz der universitären Bursen, also Hausgemeinschaften von Magistern und Scholaren, ein Kölner Spezifikum. [1] Die Entwicklung der Kölner Bursen war von besonderer Bedeutung für die Geschichte der alten Universität und prägte ihre Struktur nachhaltig. [2]
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Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden an der mittelalterlichen Universität war im Vergleich zu heutigen Studienverhältnissen intensiver. Es gab sehr verschiedene Arten von Hausgemeinschaften, die zu unterschiedlichen Zwecken gegründet wurden, sich aber in der Regel durch ein Zusammenleben von Lehrern und Schülern in quasi-familiären Verhältnissen auszeichneten. Die Scholaren verbrachten ihre Zeit überwiegend in diesen Studienhäusern und „[in] der Gemeinschaft dieser Häuser wurden [ihnen] mehr an geistiger Formung zuteil, als von der Universität je geleistet werden konnte.“ [3]
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Der Begriff der Burse hat seinen Ursprung in 'bursa', „der Geldbörse, aus welcher der wöchentliche Betrag für die Unterbringung in einer solchen Hausgemeinschaft entnommen wurde.“ [4] Die Bursen wurden von Professoren für Scholaren der Artistenfakultät gegründet, geleitet und unterhalten. Die Studenten erhielten dort nicht nur Kost und Logis, sie standen auch unter der disziplinarischen Aufsicht der leitenden Professoren. Außerdem erhielten sie die Möglichkeit weiterführender Studien über die eigentlichen öffentlichen Veranstaltungen der Universität hinaus. [5] Wurden undisziplinierte Scholaren aus einer Burse ausgeschlossen, konnten sie keinen Platz in einer anderen Burse finden und blieben so vom vertiefenden, studienbegleitenden Unterricht ausgeschlossen. Auch Studenten, die nicht Logis in einem der Studienhäuser bezogen, hatten sich einem Magister anzuschließen. [6] Rechtlich oder institutionell waren die Bursen zunächst nicht mit der Universität verbunden, sondern wurden von Magistern privat geführt. [7] Einerseits konnten Lehrer somit teilweise ihren Lebensunterhalt bestreiten und sich durch das Leiten mehrerer Bursen neben der universitären Lehre unternehmerisch betätigen. Andererseits begrüßte die Stadt das Einrichten dieser privaten Studienhäuser, da sie so von Errichtung und Unterhalt städtischer Unterkünfte absehen konnte. [8]
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Das Kölner Bursenwesen findet schon in den Fakultätsstatuten der Artisten von 1389 Erwähnung, namentlich sind jedoch kaum Bursen aus den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der Universität bekannt. Im Laufe der Zeit kam es zu Zusammenschlüssen einzelner Bursen und einer fortschreitenden Kollegialisierung. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurden institutionalisierte Magisterkollegien zu faktischen Rechtsträgern sich korporativ entwickelnder Großbursen, deren materielle Grundlage auf mehr oder weniger großen Stiftungsvermögen beruhte. [9] Der Bedeutungswandel der Kölner Bursen nahm seinen Anfang in den Jahren 1419/20 und ist eng mit dem Theologieprofessor Heinrich von Gorkum (1378-1431) verknüpft. Dieser hatte 1398 in Paris das Magisterium absolviert und war im Zuge der durch den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich andauernden Unruhen 1419 nach Köln gekommen. [10] Er gründete 1420 eine Burse, die nach ihren späteren Regenten Gerhard ter Stege von s'-Heerenberg (de Monte) (um 1400-1480) und Lambertus de Monte (um 1430/35-1499) „Montaner-Burse“ genannt wurde. [11]
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Ein Schüler Heinrich von Gorkums, Johannes Custodis von Attendorn (gest. 1428), gründete 1420 eine weitere Burse. Er hatte wie sein Lehrer zuvor ebenfalls in Paris studiert und war 1419 nach Köln übergesiedelt. Die Burse erhielt ihren Namen Corneliana von ihrem späteren Leiter Cornelius Baldewini von Dordrecht. Trotz ihres Ansehens hatte die Corneliana-Burse im Laufe des frühen 16. Jahrhunderts mit einem Rückgang an Studenten zu kämpfen und löste sich 1524 als einzige der vier Kölner Hauptbursen auf. [12] Laurentius Buninch aus Groningen gründete 1440 die Laurentianerburse; Johan von Kuck, Mitregent der Laurentianer-Burse, schloss sich 1450 mit drei weiteren Magistern zu der nach ihm benannten Kuckaner-Burse zusammen.
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Nach der Auflösung der Corneliana-Burse kristallisierten sich die Montaner-, Laurentiana- und Kuckaner-Bursen als die drei dominierenden Großbursen der Kölner Universität heraus. Sie verhinderten im Zuge ihrer Expansion Neugründungen, und auch kleinere Bursen wie die Burse des Nikolaus Ramsdonk oder die Bursa Ottonis konnten nicht gegen sie bestehen. [13] Der sich allmählich entwickelnde Zwang, einer Burse angehörig zu sein, gipfelte 1557 schließlich in der satzungsmäßigen Gleichsetzung der Artistenfakultät mit den drei Großbursen und der von ihnen getragenen Schulen. [14]
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Die faktische Gleichsetzung der Artes-Fakultät mit den Bursen [15] bedingte jedoch in Anbetracht des sich ausbreitenden Humanismus in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einige Reformforderungen. Die Lehre der Artes-Fakultät wie auch der Bursen folgte dem Vorbild der Pariser Universität und war vornehmlich auf ein weiterführendes Theologiestudium ausgerichtet. Die unter anderem dargebotenen Fächer der Logik und Metaphysik entsprachen jedoch nicht den humanistischen Schwerpunkten. Die humanistische Lehre konzentrierte sich vielmehr auf Grammatik, Rhetorik und Poetik. Sie forderte eine vermehrt sprachlich orientierte Ausbildung der Studenten und stieß damit auf Ablehnung im hochrangigen Universitätspersonal. Dieses befürchtete mit der Fokussierung auf den als eher untergeordnet angesehenen Stoff der humanistischen Lehre einen drohenden Niveauverlust der Fakultät und des darauf folgenden Theologiestudiums. [16] Die Forderungen schlugen sich dennoch in reformierten Fakultätsstatuten von 1523 und 1525 nieder, in denen sich eine explizite Einbindung humanistischer Lehre in das Curriculum zeigt. Unter anderem das Studium Ciceros, Vergils und des italienischen Humanisten Filelfo, aber auch Plinius, Livius, Sallust und Laktanz bildeten die neuen Lehrinhalte. [17]
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1551 wurde die sich im Verfall befindende Kuckaner-Burse von der Stadt Köln übernommen. Um deren Aufsichtsrecht zu kennzeichnen, wurde über der Eingangstür des neuen, von der Stadt erworbenen Bursengebäudes das Stadtwappen mit den drei Kronen angebracht. Die Burse erhielt so den neuen Namen Tricoronatum. Jacobus Leichius (ca. 1527-1584) übernahm die Leitung und verpflichtete sich, die Burse im Sinne städtischer Vorstellungen umzustrukturieren. Seine Lehrprogramme verbanden eine sprachliche Gymnasialbildung im humanistischen Sinne mit dem gängigen, philosophisch orientierten Unterricht der Bursen und gliederten sich künftig in Klassen. Nach dem Rückzug Jacobus Leichius‘ 1556 übernahm der Jesuit Johannes Rethius (1532-1574) die Leitung. Obwohl er zunächst nicht als Vertreter des Ordens agierte, erfuhr das Tricoronatum künftig eine deutlich jesuitische Prägung und ging im Kölner Jesuitenkolleg auf. [18]
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So folgte auf das Eindringen des Humanismus in die universitäre Lehre eine tiefgreifende Umgestaltung der Bursen zu Gymnasien mit Klassensystemen, die den Kern der Artistenfakultät bildeten. [19] Die beiden anderen Kölner Gymnasien Montana und Laurentiana fügten sich dem Erfolg des jesuitisch geprägten Tricoronatum und „1577 befürwortete die Artes-Fakultät ein Reformprogramm, das sich wesentlich an der jesuitischen Studienordnung orientierte.“ [20] Diese unter anderem auf Überlegungen Rethius‘ zurückführende Studienordnung sah in den untersten Klassen 'Etymologia' und 'Syntax' eine intensive Auseinandersetzung mit der lateinischen Sprache anhand der Briefe Ciceros vor. Die folgenden Klassen der 'Poetica' und 'Humanitas' umfassten auch Schriften von Ovid, Caesar, Sallust und auch griechische Autoren wie Lukian, Isokrates und Aesop. In der anschließenden 'Rhetorica' (Tertia) mussten die Studenten neben dem Abhandeln des Lehrstoffes in Disputationen auch selbst lateinische Reden verfassen und vortragen. Die beiden höchsten Klassen der 'Logica' (Secunda) und 'Physica' (Prima) befassten sich schließlich mit dem philosophisch geprägten universitären Lehrstoff auf Basis der aristotelischen Schriften. Der Abschluss der Secunda ermöglichte die Erlangung des Bakkalareats. Das Vollenden der Prima und des anschließenden Studiums der Metaphysik führte zur Lizenz. [21]
Anmerkungen
[1] Götz-Rüdiger Tewes: Das höhere Bildungswesen im alten Köln. Zu den Bursen und Gymnasien der alten Kölner Universität, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hg.): Bildung stiften, Köln 2000, 8-33, hier: 9.
[2] Erich Meuthen: Kleine Kölner Universitätsgeschichte, Köln, 1998, 10. Online unter: http://www.portal.uni-koeln.de/universitaetsgeschichte.html (15.03.2017).
[3] Erich Meuthen: Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln / Wien 1988, 89.
[4] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 9.
[5] Manfred Groten (Bearb.): Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas. 600 Jahre Kölner Universität. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln. 4. Oktober bis 14. Dezember 1988, Köln 1988, 75; siehe auch Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 9.
[6] Götz-Rüdiger Tewes: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln / Weimar / Wien 1993, 11f.
[7] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 89.
[8] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 10.
[9] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 91f.
[10] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 10f.
[11] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 92; vgl. auch Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 11.
[12] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 93.
[13] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 5), 75.
[14] Meuthen: Kleine Universitätsgeschichte (wie Anm. 2), 11f.
[15] Siehe dazu Tewes: Bursen (wie Anm. 6), 124-125.
[16] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 26f.
[17] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 229-231.
[18] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 28-30.
[19] Groten: Stadtuniversität (wie Anm. 5), 75.
[20] Tewes: Bildungswesen (wie Anm. 1), 30.
[21] Meuthen: Alte Universität (wie Anm. 3), 308-310.