Die Sammlung des Jesuitenkollegs als Vorbild für Wallraf

Alexandra Nebelung

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Ferdinand Franz Wallraf wird stets als Bewunderer des Jesuitenkollegs zitiert. In seiner Biografie über Peter Anth (1745-1810), ehemaliger Schüler des Tricoronatums, lobt Wallraf den „Geist der Wissenschaften“, der am Gymnasium schon zu Schulzeiten des Pfarrers geherrscht habe. [1] Doch obwohl er das Gymnasium und seine Tradition der Wissenschaften schätzte, war ihm bewusst, dass auch hier nach jahrhundertealten Lehrplänen gelehrt wurde. Wallraf, Schüler und später Lehrer am Gymnasium Montanum, [2] war harscher Kritiker des Kölner Schulsystems: „[D]em Fortschritt anderer hoher Schulen Deutschlands hier beizukommen, welchen unser Köln jetzt schier noch ein ganzes Jahrhundert in der Aufklärung nachkriecht […]“ [3], ist eines der erklärten Ziele seines Reformvorschlages von 1786. Für diesen nahm er sich ein Vorbild bei der Ausstattung des Jesuitenkollegs. So sollte jedes Gymnasium ein Museum mit einer Bibliothek besitzen, in der die Studenten Anschauungsmaterial wie Karten und naturkundliche Objekte zur Verfügung gestellt bekommen: „Jedes solches Gymnasium erfordert […] ein geräumiges Museum, wo dessen Alumnen sich aufhalten könnten […]. […] eine bequemliche Einrichtung zum Schreiben mit Tischen und Bänken und für das Museum insbesondere eine Stellage zu einer Schulbibliothek und eine Kommode oder Schrank für die globos, Landkarten, Naturalien, Zeichnungen.“ [4] Die Definition von „Museum“ unterscheidet sich also bei Wallraf grundlegend von dem, was wir heute darunter verstehen. Ein Museum sollte kein Ausstellungsraum sein, sondern eine Studierstube, in der die Studenten die Sammlungsstücke nicht nur ansehen, sondern praktisch nutzen konnten.

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Auch Wallrafs eigener Sammlung sollte ein ähnlicher Zweck zukommen. Schon bei seinem Förderer Georg Menn (1730-1781), Professor der Medizin, sah er, wie dessen Schüler Bücher und Instrumente des Professors für ihr Studium nutzen konnten. [5] Wallraf selbst verstand sich immer als Gelehrter, nie nur als Sammler, auch wenn seine Bemühungen, seine Sammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, lange Zeit fruchtlos blieben. 1803 bot er der Stadt an, eine Akademie der Schönen Künste in seinem Zuhause, der Dompropstei, zu errichten und hierfür seine Sammlung zu verwenden. [6] Als dieser Plan nicht angenommen wurde, bot er ein paar Jahre später seine Sammlung der Schulverwaltung zum Kauf an, die Verhandlungen wurden nach Jahren der mühsamen Katalogisierung und Schätzung aber abgebrochen. [7] Im Jahr 1818 formulierte Wallraf dann ein Testament, in dem er die Stadt Köln als Alleinerbin einsetzte. [8]

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Wallraf verstand seine Sammlung auch als Ersatz für die Sammlung der Jesuiten, die an die Franzosen verloren ging. In seiner „Denkschrift über die Verluste welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten“ schildert er den Vorgang der Plünderungen: „Den 9. November 1794, Morgens 9 Uhr, meldete sich in dem ehemaligen Jesuiten-Collegium der Secretär des Volksvertreters Fressinc […]. Sie verlangten von dem Administrator Hürtgen […] die Eröffnung der Bibliothek […].“ [9] Binnen drei Wochen wurden hunderte Bücher aus dem Kolleg genommen, darunter nach Wallraf neben einer alten hebräischen Bibel auch die älteste kölnische Bibel, viele weitere Werke und Lehrbücher der Theologie, Geschichte und Geographie sowie Handschriften und Literatur. [10] Wallraf schätzt die Verluste der Bibliothek auf 18.300 Francs und weiß auch, dass einige dieser Bücher bereits in Paris verkauft wurden, sodass sie nicht mehr zurückzubringen seien. [11] Im Weiteren zählt Wallraf die umfangreichen Sammlungen der Jesuiten an Antiken, Mineralien, Gesteinen, Münzen und Druckgraphiken auf. [12] Zum Schluss seiner Ausführungen macht Wallraf wenig Hoffnung auf Wiederbeschaffung der Bestände: „Zur wirklichen Ausfindung unseres Eigenthums in dergleichen Kategorieen[!] […] ist jeder Vorschlag von emsiger Nachsuchung in den pariser[!] Museen und Bibliotheken ein unausführbares Bestreben […].“ [13]

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Ein wichtiger Bestandteil der jesuitischen Sammlungen waren die Druckgraphiken. In seiner Denkschrift beziffert Wallraf deren Anzahl auf 208 großformatige Bände, in denen sich 6.113 Zeichnungen hauptsächlich italienischer Maler befunden hätten. [14] Der Wert der Sammlung wird von ihm auf 100.000 Francs geschätzt. [15] Die Jesuiten hatten die Graphiken zu Unterrichtszwecken verwendet, sie wurden wie die anderen Bestände der Sammlung aktiv in die Lehre eingebunden. [16] Wie Wallraf in seiner Denkschrift voraussagt, konnten nur sehr wenige Bände zurückgeholt werden. Eberhard von Groote (1789-1864) konnte bei seiner Reise nach Paris lediglich etwa 50 Bände aus der Bibliothèque Nationale holen und selbst diese waren unvollständig. [17] Ein großer Teil der Sammlung war für Köln unwiederbringlich verloren. Neben Wallraf bot sich auch der Baron von Hüpsch (1730-1805) an, Ersatz für die Drucksammlung zu leisten, der über eine ansehnliche Kupferstichsammlung verfügte und diese der Stadt vermachen wollte. Sein Angebot wurde jedoch abgelehnt. [18] Wallrafs eigene Sammlung von Druckgraphiken belief sich bei seinem Tod auf über 40.000 Exemplare. [19]

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Von den Franzosen unbeachtet, verblieben die Bestände des physikalischen Kabinetts dagegen in Köln. Die naturwissenschaftliche Sammlung bestand seit dem 17. Jahrhundert, ab dem 18. Jahrhundert gab es das physikalische Kabinett eigens für die mathematischen und physikalischen Geräte. [20] Da letztere sowohl die französische als auch die preußische Herrschaft größtenteils unbeschadet überstanden haben, sind sie der Stadt Köln bis heute erhalten. [21] Wenn auch Wallraf selbst Forscher und Doktor der Medizin war, so befinden sich in seinem Nachlass keine vergleichbaren Stücke. [22] Seine Sammlung an Fossilien und Mineralien belief sich dagegen auf 9.923 Stück. [23] Schon im Alter von 25 Jahren soll Wallraf eine Leidenschaft für Steine gehabt haben, und als Professor für Botanik brachte er seine eigenen Stücke mit in die Vorlesungen. [24] Gunter Quarg stellt in seiner Studie zu den Naturwissenschaften an der alten Universität beim Vergleich mit anderen Universitäten jener Zeit fest, dass Vorlesungen zur Mineralogie Ende des 18. Jahrhunderts eher selten waren und Köln unter anderem dank Wallraf eine Vorreiterrolle einnahm. [25] Das Naturalienkabinett der Jesuiten verlor einige wertvolle Stücke an die Franzosen, die hier nur ausgewählte Objekte mitnahmen: „Unter den Mineralien wählten sie sich alles gegenwärtig Schönere, worunter peruanische und andere gediegene Goldstufen, […], schöne solche Silbererze und andere Metalle […] allerlei schöne Krystalle […] vorkamen.“ [26] Ein großer Teil der Sammlung blieb erhalten. Über ihren Verbleib lässt sich in den Quellen nichts herausfinden, einige Stücke der Sammlung Wallraf dürften sich aber im Geologischen Museum der Universität zu Köln wiederfinden, auch wenn der Großteil im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. [27] 

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Eine direkte Verbindung zwischen Wallraf und dem Jesuitenkolleg bestand in der Unterbringung seiner Sammlung in den Räumen des Gymnasiums. Dies war sein eigener Vorschlag gewesen, als er 1807 den Auftrag bekam, die Sammlung zu katalogisieren in der Hoffnung, sie der Stadt und der Schulverwaltung verkaufen zu können. [28] Wallrafs Pläne für Köln und das Kolleg gingen noch weiter. In seiner Neubenennung der Straßen 1813 wurde aus der Marzellenstraße die „Rue du Lycée “ und aus der Straße Am Hof die „Rue de l’Université “. [29] Die Adresse des Jesuitenkollegs sollte die neue Adresse eines Lyzeums als Teil einer modernen Kölner Hochschule werden und Wallrafs Sammlung sollte Teil dieser sein.

 

Anmerkungen

[1] Ferdinand Franz Wallraf: Biographie des als Stadtkölnischer Hauptpfarrer zu St. Marien im Capitol im Jahr 1810 verstorbenen H. H. Peter Anth. Dem Andenken und der Pfarrgemeinde des Verklärten gewidmet, Köln 1810, 6.

[2] Joseph Klinkenberg: Ferdinand Franz Wallraf, in: Ders. (Hg.): Das Marzellen Gymnasium in Köln 1450-1911. Bilder aus seiner Geschichte. Festschrift dem Gymnasium anlässlich seiner Übersiedelung gewidmet von den ehemaligen Schülern, Köln 1911, 148-172, hier: 151f. (Digitalisat Klinkenberg: Wallraf)

[3] Zitiert nach Gunter Quarg: Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität, Köln / Weimar / Wien 1996, 13, aus der Denkschrift Wallrafs zur Reform.

[4] Leonard Ennen: Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, 101. (Digitalisat Ennen: Zeitbilder)

[5] Bianca Thierhoff: Ferdinand Franz Wallraf – Ein Sammler des „pädagogischen Zeitalters“, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 389-406, hier: 389.

[6] Thierhoff: Sammler (wie Anm. 5), 396.

[7] Thierhoff: Sammler (wie Anm. 5), 397.

[8] Thierhoff: Sammler (wie Anm. 5), 400f.

[9] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 187-223, hier: 199. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)

[10] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 199f.

[11] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 200.

[12] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 202-204.

[13] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 206.

[14] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 204.

[15] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 205.

[16] Dietmar Spengler: spiritualia et pictura: Die Graphische Sammlung des ehemaligen Jesuitenkollegs in Köln. Die Druckgraphik, Köln 2003, 10f.

[17] Spengler: Graphische Sammlung (wie Anm. 16), 40f.

[18] Hella Robels: Katalog ausgewählter Handzeichnungen und Aquarelle im Wallraf-Richartz-Museum, Köln 1967, 16.

[19] Thierhoff: Sammler (wie Anm. 5), 401.

[20] Gunter Quarg: Naturwissenschaftliche Sammlungen in Köln, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 315-321, hier: 315f.

[21] Quarg: Naturwissenschaftliche Sammlungen (wie Anm. 20), 316.

[22] Vergleiche Nachlassverzeichnis in Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 109f.

[23] Deeters: Wallraf (wie Anm. 22), 109f.

[24] Quarg: Naturwissenschaftliche Sammlungen (wie Anm. 20), 317f.

[25] Quarg: Naturkunde (wie Anm. 3), 179f.

[26] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 9), 202.

[27] Quarg: Naturwissenschaftliche Sammlungen (wie Anm. 20), 318.

[28] Thierhoff: Sammler (wie Anm. 5), 397.

[29] Siegfried Schmidt: Das Gymnasium Tricoronatum unter der Regentschaft der Kölner Jesuiten, in: Heinz Finger (Hg.): Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der deutschen Provinz der Jesuiten zum Ignatianischen Jahr 2006, Köln 2006, 71-186, hier: 180.

Empfohlene Zitierweise
Alexandra Nebelung, Die Sammlung des Jesuitenkollegs als Vorbild für Wallraf, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Die Sammlung des Jesuitenkollegs (Datum des letzten Besuchs).