Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel im Sammeln von Antiken

Charlotte Pletz

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In den Jahren 1818 bis 1820 erwarb Wallraf bei dem römischen Antikenhändler Gaetano Giorgini und seinem Sohn Ferdinando 30 italienische Marmorantiken. [1] Für diese Stücke musste Wallraf 16.000 Francs zuzüglich 325 Francs Frachtkosten zahlen. [2] Der Sammler bürgte zunächst mit seiner städtischen Pension für die hohe Kaufsumme. In einer Bittschrift an den Oberbürgermeister bat Wallraf in der Folge um die Vorauszahlung seiner Pension und pries den hohen Wert dieser Antiken für die Stadt Köln an. Der Stadtrat entschied daraufhin die Ankaufskosten zu übernehmen und Wallraf seine Pension zu überlassen. Mit Sicherheit spielte das von Wallraf kurz zuvor verfasste Testament, welches der Stadt Köln die gesamte Kunstsammlung des Stifters vermachte, bei dieser Entscheidung eine nicht unbedeutende Rolle. [3]

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Gaetano Giorgini hatte eine Auswahl an Antiken zusammengestellt, die den Vorstellungen der Sammler an ein „cabinetto d’antichità“ entsprach. Es war zu dieser Zeit nicht unüblich, eine komplette Kollektion von einem Händler zu erwerben, anstatt einzelne Objekte über Jahre hinweg anzusammeln. [4] Die durch Wallraf erworbenen Skulpturen lassen sich bestimmten Gattungen zuordnen. Mit den Darstellungen Caesars, Germanicus‘, Vitellius‘, Vespasian und Titus‘ gelangten Portraitbüsten wichtiger Herrscher in die Sammlung Wallrafs (Bildtafel 6). Für die antike Götterwelt standen die Abbilder der Juno und der Medusa (Bildtafel 4). Weiterhin erwarb Wallraf bei Giorgini der Grabkunst zuzuordnende Sarkophage und Grabreliefs (Bildtafel 10).

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Zu Lebzeiten Wallrafs galt das Medusenhaupt als das wertvollste Stück seiner Sammlung. Zunächst einem griechischen Meister zugeschrieben, entpuppte sich sein Ursprung als römisch aus der Zeit Kaiser Hadrians (76-138, reg. 117-138). Die Medusa Wallraf steht in Verbindung mit drei besser erhaltenen und weniger verfälscht-restaurierten Medusenhäuptern im Museum des Vatikan, die 1813 in den Ruinen des Tempels der Venus und Roma oberhalb des Forum Romanum ausgegraben wurden. [5] Die Masken schmückten vielleicht den Fries des monumentalen, um 135 n. Chr. von Kaiser Hadrian geweihten Tempels. Die ebenmäßigen Gesichtszüge der Medusa sind von einem kräftigen, runden Kinn, wulstigen Lippen, einer scharf gezeichneten Nase und mandelförmigen Augen geprägt. Wilde, dicke Haarlocken umkränzen das Gesicht. Über der Stirn befinden sich waagerecht gestellte Flügel, die aus der Lockenpracht heraustreten. Zwei Schlangenenden laufen unter dem Kinn zusammen und verschlingen sich ineinander. [6] Haarkalotte, Stirnhaar, Lockenspitzen, Flügel, Schlangen, Bänder, Nase und Mund sind klassizistische Ergänzungen aus den Jahren 1813 bis 1816. Die Medusa Wallraf erlitt im Zweiten Weltkrieg starke Beschädigungen. Im Jahr 1972 wurden die Fragmente der Maske in einer Kiste gefunden. Im Jahr 1986 konnte die Gorgo mit Hilfe eines alten Abgusses aus Schwerin, welcher sich heute im Winckelmann-Institut an der Humboldt-Universität in Berlin befindet, restauriert werden. [7] Seit dem Jahr 1987 wird das Medusenhaupt im Treppenhaus des Römisch-Germanischen Museums ausgestellt.

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Bald stellte sich heraus, dass die Antikensammlung, die Giorgini an Wallraf verkauft hatte, von sehr heterogener Qualität war. Schon in seinem Katalog für das neu eröffnete Museum stellte Heinrich Düntzer fest, dass es sich bei einigen der „Marmi Giorgini“ um neuzeitliche Kopien handelte. [8] Weiterhin wurde häufig darauf hingewiesen, dass zahlreiche Objekte der Antikensammlung stark restauriert und ergänzt seien. Im Zuge dessen änderte sich die überwiegend positive Einschätzung der Antiken Wallrafs in den nächsten Jahren.

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Zur Zeit des Ankaufs der Giorgini-Sammlung begannen sich die Anforderungen an Antikensammlungen zu wandeln. Altertumswissenschaftler wie Georg Zoëga (1755-1809) vertraten eine kritische Einstellung gegenüber Restaurationen antiker Bildwerke. [9] Auch der Kunstagent Martin von Wagner (1777-1858), der im Dienste Ludwigs von Bayern (1786-1868) tätig war, legte Wert darauf, wenig ergänzte Skulpturen für die fürstliche Sammlung zu erwerben. Ebenso soll Antonio Canova (1757-1822), seit 1802 Inspektor im Vatikan, ausschließlich nichtrestaurierte Werke erworben haben. [10]

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Im 19. Jahrhundert änderte sich auch die Präsentation antiker Skulpturen. Der Herzog von Devonshire sammelte in Chatsworth in einem eigenen Museum Fragmente von antiken Skulpturen, Reliefs und Bauteilen. Vollständige Büsten wurden hingegen in den repräsentativen Räumen ausgestellt. Die Antiken standen aber nicht im Mittelpunkt der Sammlung und markierten keinen Höhepunkt der Kunstgeschichte, sondern empfingen den Besucher als Auftakt in der Eingangshalle. Den zeitgenössischen klassizistischen Marmorarbeiten, die in den Arbeiten Canovas ihren Höhepunkt fanden, war eine eigene aufwendige „Sculpture Gallery“ gewidmet. [11]

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Der sich im Sammeln von Antiken vollziehende Paradigmenwechsel ist auch im Vergleich der Sammelpraxis Wallrafs mit der der fast 40 Jahre jüngeren Boisserée-Brüder zu erkennen. Die Sammlung der Boisserées stellte einen zusammenhängenden Zyklus der mittelalterlichen Malerei dar, dessen nationale Bedeutung den Brüdern von Anfang an bewusst war, während Wallrafs Sammelinteressen sich nur auf Köln beschränkten. [12]

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Es ist Wallraf jedoch kein Vorwurf daraus zu machen, dass er die Fälschungen nicht von den Originalen unterschied und stark restaurierte Werke zu seiner Sammlung zählte. Wallraf fehlte der wissenschaftliche und praktische Umgang mit klassischen Antiken, über den etwa die für die königlichen Sammlungen in München oder Berlin tätigen Museumsbeamten verfügten. Wallraf bewegte sich ganz in der Tradition der Amateure des 18. Jahrhunderts und vollzog den sich um 1800 in Europa vollziehenden Wandel im Antikenverständnis nicht mehr mit. Ganz im Sinne der Aufklärung verstand Wallraf seine Sammlung als Lehrmaterial für den wissenschaftlichen Unterricht und weniger als Kunstsammlung. [13] Populäre, aber nicht auf dem Markt verfügbare Antiken wurden bereits seit dem 16. Jahrhundert in Italien kopiert. Nicht immer war die Absicht eine vorsätzliche Täuschung. Die Frage nach der Echtheit und modernen Ergänzungen war für Sammler wie Wallraf von sekundärer Bedeutung. Kopien wurden nicht streng von Originalen unterschieden, da sie ähnlichen Zwecken dienen sollten. Sie sollten eine Anschauung von der edlen Einfalt und stillen Größe der antiken Kunst geben. Eine kritische Einstellung zu dieser Praxis entwickelte sich erst in den folgenden Jahrzehnten. [14]

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Von den Giorgini-Marmorantiken haben sich bis auf das Medusenhaupt keine erhalten. Einige Objekte sind durch die Zeichnungen Thomas Crantz‘ (1786-1853) und Adolph Wegelins (1810-1881) überliefert, die Johann Peter Weyer (1794-1864) für den Sammelband der „Kölner Alterthümer“ anfertigen ließ. [15]
 

Anmerkungen

[1] Peter Noelke: Im Banne der Medusa – Die Antikensammlung Ferdinand Franz Wallrafs und ihre Rezeption, in: Kölner Jahrbuch 26 (1993), 133-216, hier: 133.

[2] Sophie Löwenstein: Die Sammlungen des Ferdinand Franz Wallraf, in: Anne Bonnermann et al.: Zwischen antiquarischer Gelehrsamkeit und Aufklärung. Die Bibliothek des Kölner Universitätsrektors Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824), Köln 2006, 33-39, hier: 36.

[3] Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 94.

[4] Peter Noelke: Kölner Sammlungen und Kölner Funde antiker Steindenkmäler im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Kölner Jahrbuch 40 (2007), 159-213, hier: 176.

[5] Noelke: Medusa (wie Anm. 1), 175.

[6] Noelke: Medusa (wie Anm. 1), 130.

[7] Noelke: Medusa (wie Anm. 1), 133.

[8] Heinrich Düntzer: Katalog des Museums Wallraf-Richartz in Köln. Verzeichnis der Römischen Alterthümer, Köln 1869, 6. Zum Beispiel Nr. 8, Büste des Kaisers Vitellius.

[9] Noelke: Kölner Sammlungen (wie Anm. 4), 176.

[10] Noelke: Kölner Sammlungen (wie Anm. 4), 176.

[11] Dietrich Boschung: Antikensammlungen im 19. Jahrhundert. Einleitung, in: Kölner Jahrbuch 40 (2007), 7-10, hier: 8.

[12] Deeters: Wallraf (wie Anm. 3), 74.

[13] Ekkehard Mai: „Wallrafs Chaos“ (Goethe) – Städels Stiftung, in: Ders. / Peter Paret (Hg.): Sammler, Stifter und Museen. Kunstförderung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 1993, 63-80, hier: 73.

[14] Noelke: Kölner Sammlungen (wie Anm. 4), 177.

[15] Ulrich Bock: Johann Peter Weyers Sammlung aquarellierter Zeichnungen, in: Johann Peter Weyer: Kölner Alterthümer, hrsg. von Werner Schäfke unter Mitarbeit von Ulrich Bock, Köln 1994, 7-11, hier: 7.

Empfohlene Zitierweise
Charlotte Pletz, Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel im Sammeln von Antiken, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel (Datum des letzten Besuchs).