Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel im Sammeln von Antiken
Charlotte Pletz
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In den Jahren 1818 bis 1820 erwarb Wallraf bei dem römischen Antikenhändler Gaetano Giorgini und seinem Sohn Ferdinando 30 italienische Marmorantiken.
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Gaetano Giorgini hatte eine Auswahl an Antiken zusammengestellt, die den Vorstellungen der Sammler an ein „cabinetto d’antichità“ entsprach. Es war zu dieser Zeit nicht unüblich, eine komplette Kollektion von einem Händler zu erwerben, anstatt einzelne Objekte über Jahre hinweg anzusammeln.
Abbildung der Juno und der Medusa (Bildtafel 4)
Sarkopharge und Grabreliefs (Bildtafel 10)
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Zu Lebzeiten Wallrafs galt das Medusenhaupt als das wertvollste Stück seiner Sammlung. Zunächst einem griechischen Meister zugeschrieben, entpuppte sich sein Ursprung als römisch aus der Zeit Kaiser Hadrians (76-138, reg. 117-138). Die Medusa Wallraf steht in Verbindung mit drei besser erhaltenen und weniger verfälscht-restaurierten Medusenhäuptern im Museum des Vatikan, die 1813 in den Ruinen des Tempels der Venus und Roma oberhalb des Forum Romanum ausgegraben wurden.
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Bald stellte sich heraus, dass die Antikensammlung, die Giorgini an Wallraf verkauft hatte, von sehr heterogener Qualität war. Schon in seinem Katalog für das neu eröffnete Museum stellte Heinrich Düntzer fest, dass es sich bei einigen der „Marmi Giorgini“ um neuzeitliche Kopien handelte.
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Zur Zeit des Ankaufs der Giorgini-Sammlung begannen sich die Anforderungen an Antikensammlungen zu wandeln. Altertumswissenschaftler wie Georg Zoëga (1755-1809) vertraten eine kritische Einstellung gegenüber Restaurationen antiker Bildwerke.
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Im 19. Jahrhundert änderte sich auch die Präsentation antiker Skulpturen. Der Herzog von Devonshire sammelte in Chatsworth in einem eigenen Museum Fragmente von antiken Skulpturen, Reliefs und Bauteilen. Vollständige Büsten wurden hingegen in den repräsentativen Räumen ausgestellt. Die Antiken standen aber nicht im Mittelpunkt der Sammlung und markierten keinen Höhepunkt der Kunstgeschichte, sondern empfingen den Besucher als Auftakt in der Eingangshalle. Den zeitgenössischen klassizistischen Marmorarbeiten, die in den Arbeiten Canovas ihren Höhepunkt fanden, war eine eigene aufwendige „Sculpture Gallery“ gewidmet.
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Der sich im Sammeln von Antiken vollziehende Paradigmenwechsel ist auch im Vergleich der Sammelpraxis Wallrafs mit der der fast 40 Jahre jüngeren Boisserée-Brüder zu erkennen. Die Sammlung der Boisserées stellte einen zusammenhängenden Zyklus der mittelalterlichen Malerei dar, dessen nationale Bedeutung den Brüdern von Anfang an bewusst war, während Wallrafs Sammelinteressen sich nur auf Köln beschränkten.
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Es ist Wallraf jedoch kein Vorwurf daraus zu machen, dass er die Fälschungen nicht von den Originalen unterschied und stark restaurierte Werke zu seiner Sammlung zählte. Wallraf fehlte der wissenschaftliche und praktische Umgang mit klassischen Antiken, über den etwa die für die königlichen Sammlungen in München oder Berlin tätigen Museumsbeamten verfügten. Wallraf bewegte sich ganz in der Tradition der Amateure des 18. Jahrhunderts und vollzog den sich um 1800 in Europa vollziehenden Wandel im Antikenverständnis nicht mehr mit. Ganz im Sinne der Aufklärung verstand Wallraf seine Sammlung als Lehrmaterial für den wissenschaftlichen Unterricht und weniger als Kunstsammlung.
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Von den Giorgini-Marmorantiken haben sich bis auf das Medusenhaupt keine erhalten. Einige Objekte sind durch die Zeichnungen Thomas Crantz‘ (1786-1853) und Adolph Wegelins (1810-1881) überliefert, die Johann Peter Weyer (1794-1864) für den Sammelband der „Kölner Alterthümer“ anfertigen ließ.
Anmerkungen
Empfohlene Zitierweise
Charlotte Pletz, Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel im Sammeln von Antiken, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Wallrafs Marmi Giorgini und der Paradigmenwechsel (Datum des letzten Besuchs).