Als Autoritätsperson und Angehöriger der Kölner Elite setzte Wallraf sein literarisches Talent und seine Fähigkeiten jedoch auch für die Belange seiner Vaterstadt ein. So verfasste er im Winter 1794/5 auf Bitten der Stadt gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Nikolaus DuMont eine Denkschrift an den französischen Nationalkonvent in Paris. [15] Diese sollte dazu dienen, Köln von der als Last empfundenen französischen Besatzung zu befreien und die Stellung der Stadt innerhalb des französischen Reiches zu stärken. Die Schrift skizziert die Geschichte der Stadt Köln von der römischen Gründung über die Zugehörigkeit zum fränkischen Reich bis in die Gegenwart. Daneben beschreibt sie die demokratische Verfassung der Stadt, die auf Freiheit beruhe, welche als das höchste Gut herausgestellt wird: „Frei unter den Römern, frei unter den Franken, […] frei bisher unter der angenommenen Obhut des deutschen Reiches, überlebte Köln und seine Freiheit die Perioden der Welt und ihre Schicksale.“ [16] Immer wieder wird in der Denkschrift auch die Einheit und Freundschaft der Kölner mit Frankreich betont. So pflege die Stadt Köln die gleichen Ideale wie das neu geschaffene französische Reich und sei diesem über die Jahrhunderte hinweg immer freundlich gesinnt gewesen, was sich auch an der wohlwollenden Aufnahme französischer Truppen in der Stadt zeige. Einen Großteil des Textes macht aber auch die Beschreibung der Lasten aus, die Köln zu tragen habe. Insbesondere die finanziellen Folgen der französischen Besatzung seien nicht länger haltbar – der Verfall der Stadt wird in dramatischen Worten geschildert.
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Die sehr pathetisch gehaltene Denkschrift spricht die Mitglieder des französischen Nationalkonvents, die „Gesetzgeber“, direkt an. Dem Stile Wallrafs entsprechend sind zahlreiche Anlehnungen an die Antike zu finden: So wird die französischen Eroberung beispielsweise mit den Feldzügen Alexanders des Großen verglichen oder der Rat der Stadt Köln als „Senat der Ubier“ betitelt. Der offiziell als Verfasser angegebene DuMont reiste im Februar 1795 nach Paris, um dort die Interessen der Stadt zu vertreten. Von der ins Französische übersetzten Denkschrift ließ er 1.500 Exemplare drucken und an die Mitglieder des Nationalkonvents verteilen. [17] Seine weiteren literarischen Tätigkeiten legte Wallraf zwischen 1794 und 1797 weitgehend nieder. [18] Nachdem sich die politische Lage Kölns etwas stabilisiert hatte, nahm er diese jedoch wieder auf, sodass die Jahre der französischen Besatzung zum Höhepunkt seines Schaffens wurden. [19]
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Nach dem Abzug der Franzosen im Jahre 1814 ersuchte die Stadt Köln Wallraf, eine Zusammenstellung aller Verluste, die im Zuge der Besatzung zu verzeichnen waren, anzufertigen. [20] Die daraus resultierende Denkschrift beginnt wiederum mit einer pathetischen Einleitung, in der dargelegt wird, dass „keine Stadt in den Rhein-Departments […] an Allem solchen Verlust erlitten“ [21] habe wie Köln. Daraufhin listet Wallraf ausführlich die „durch die Habsucht des französischen Volkes und der napoleonischen Regierung der einzigen Stadt Köln entnommenen Gegenstände“ [22] in vier Kategorien auf. Nach den Kunstgegenständen (A), folgen die wissenschaftlichen Geräte und die Kunstsammlung des Jesuitenkollegs (B), darauf die Altertümer (C) sowie schließlich verlorenes städtisches und privates Vermögen (D). Allen aufgelisteten Punkten ordnet Wallraf einen Schätzwert in französischen Francs zu. Die Hoffnungen der Stadtverwaltung auf umfassende Reparationen zerschlugen sich jedoch mit dem Ersten Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 und so ließ Wallraf die noch unfertige Arbeit ruhen. [23]
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Neben diesen Arbeiten, die von der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben wurden, widmete sich Wallraf literarisch seinen Leidenschaften, indem er verschiedene private Sammlungen katalogisierte. Im Jahr 1791 etwa erschienen ein Verzeichnis der Medaillen und Münzen sowie eines der Naturalien im Besitz der Familie von Geyer anlässlich des Verkaufs der Sammlung. Ein Jahr später veröffentlichte Wallraf einen Katalog der Münzsammlung des Domherrn von Merle (1732-1810). Das Verzeichnis mit knapp 600 Druckseiten sollte das umfangreichste Werk Wallrafs werden. [24]
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Auf herausragende Weise tat sich Wallraf als Autor verschiedener Beiträge zur Kölner Stadtgeschichte hervor. In den Jahren 1802 bis 1804 veröffentlichte er sukzessive die „Geschichts-Kunst- und Sitten-Chronik von und für Köln“, worin er „Aufklärung und Vermutungen über die Urgeschichte Kölns“ darlegte. [25] Seinen persönlichen Vorlieben nachgehend konzentrierte sich Wallraf vor allem auf die antike Gründung Kölns und die Bedeutung der Stadt in römischer Zeit. Dank seiner jahrelangen Forschung auf dem Gebiet wurde Wallraf bald zu einem gefragten Kenner der Kölner Stadtgeschichte, was ihm bei seinen zahlreichen anderen Tätigkeiten zu Gute kam. Ein weiteres großes Motiv in der Chronik Kölns ist die Bedeutung von Handel und Freiheit als Voraussetzung der Kölner Größe in vergangener Zeit. [26] Hierin mag ein Appell an die Zeitgenossen mitschwingen, der Stadt wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Ohnehin ließ Wallraf keine Gelegenheit aus, das historische Wissen der Kölner Bürgerschaft zu bereichern. Sah er bereits die von ihm benannten Straßen als „öffentliche Unterrichtsanstalt“ [27] an, so konnte er in der Chronik ausführlich das Wissen um seine Vaterstadt fördern, sowohl bei den eigenen Mitbürgern als auch bei Besuchern der Domstadt.
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Neben seinen vielfältigen Arbeiten als Autor war Ferdinand Franz Wallraf jedoch auch als Herausgeber in der Kölner Literaturszene tätig. Die Zeit der französischen Besatzung nutzte er, um aktiv das literarische Leben Kölns zu fördern und zu reformieren. So gab er von 1798 bis 1804 einen Musenalmanach bzw. ein Taschenbuch heraus, [28] das zunächst unter dem Titel „Ubiens Musentafel oder Kölnisches Taschenbuch“, später dann unter „Taschenbuch der Ubier“ und „Taschenbuch für Kunst und Laune“ erschien. [29] Darin konnten Kölner Autoren ihre literarischen Werke in einem lockeren Format publizieren, zahlreiche Beiträge wurden jedoch auch von Wallraf selbst verfasst. Diese waren thematisch weit gefächert, jedoch meist seinen persönlichen Leidenschaften verpflichtet. So sind diverse Aufsätze zur antiken Kunst und Literatur zu finden, ebenso wie der berühmte Aufsatz über „Agrippina, die Gemahlin des Claudius, die Stifterin Kölns“. Aber auch einige Gedichte oder Widmungen an Kölner Persönlichkeiten veröffentlichte Wallraf im Taschenbuch. Den größten Teil der von ihm selber verfassten Beiträge stellten jedoch Gemäldebeschreibungen dar, die er ab 1801 veröffentlichte. [30] Abgesehen von antiken Bildthemen war es nun vor allem christliche Kunst, die der Geistliche Wallraf beschrieb. „Die Ermordung des h. Peter von Mailand. Das Meisterbild von Titian“, „St. Margarita oder der Triumph der christlichen Heldin über die Hölle, von Raphael“ oder „Die Kreuzigung des Apostels Petrus, Gemälde von Rubens“ sind nur einige große Meisterwerke, denen Wallraf eine ausführliche Beschreibung widmete.
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So nutzte der Professor das Taschenbuch als weiteres Sprachrohr, um dem Kölner Publikum die Schönen Künste näher zu bringen. Daneben beabsichtige Wallraf sicherlich auch, den schlechten Ruf Kölns im In- und Ausland als kunstunverständig zu widerlegen und den wissenschaftlichen Diskurs mit anderen Städten aufzunehmen. Den von Wallraf herausgegebenen Musenalmanach bezeichnete Wilhelm Smets (1796-1848) als „höchst notwendiges literarisches Institut […], das geeignet war den schönwissenschaftlichen Verband mit dem […] von dem linken Rheinufer getrennten deutschen Vaterlande zu erhalten“ [31]. Auch im Vergleich mit den literarischen Einrichtungen anderer deutscher Städte sollte Köln durch die Einrichtung eines Forums für Lyrik und Literatur nun nachziehen, war die Veröffentlichung eines solchen Almanachs oder Taschenbuches in den literarischen Zentren der Zeit doch üblich. Den französischen Machthabern sollte wiederum „Ehrfurcht vor wissenschaftlicher Eigenthümlichkeit und nationaler Produktion im Gebiete des Wahren und Schönen wider ihren Willen“ [32] aufgezeigt werden. Bereits nach fünf Ausgaben musste das Taschenbuch jedoch eingestellt werden. Mangelnde Verkaufszahlen aber wohl auch fehlende Autoren scheinen der Grund dafür gewesen zu sein. [33] Besondere Aufmerksamkeit erregte in Köln sicherlich auch ein 1816 im von Eberhard von Groote herausgegebenen „Taschenbuch für Freunde altdeutscher Zeit und Kunst“ erschienener Text Wallrafs, der den berühmten „Altar der Stadtpatrone“ von Stephan Lochner beschreibt. [34]
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Durch seine zahlreichen literarischen Tätigkeiten übte Ferdinand Franz Wallraf enormen Einfluss auf das kulturelle Leben Kölns aus. Dabei trieb der Wunsch nach Aufklärung der Bevölkerung über die lange Geschichte seiner Vaterstadt und deren Werte den Lokalpatrioten Wallraf unermüdlich an. Seine diversen literarischen Auftragsarbeiten brachten ihm jedoch auch dringend benötigte Einnahmen ein. Nur selten sind Rechnungen oder Belege über Zahlungen erhalten, jedoch wird er für eine Vielzahl seiner Tätigkeiten Honorare erhalten haben. [35] Der finanzielle Anreiz wird daher, neben der Möglichkeit sich für seine Vaterstadt einzusetzen und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu verbessern, ebenso eine Motivation für Wallrafs Oeuvre gewesen sein.
Anmerkungen
[1] Vgl. für ein ausführliches Schriftenverzeichnis: Joachim Deeters: Der Nachlass Ferdinand Franz Wallraf (Best. 1105), Köln 1987, 361–375.
[2] Vgl. Joachim Deeters: Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln vom 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, 26f; daneben Franz Joseph von Bianco: Die alte Universität Köln und die spätern Gelehrten-Schulen dieser Stadt, nach archivarischen und andern zuverlässigen Quellen, I. Theil, Erste Abteilung: Die Alte Universität, Köln 1855, 812–815.
[3] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 277–279.
[4] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 280–283.
[5] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 283f.
[6] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 277–279.
[7] Vgl. Gunter Quarg: Ferdinand Franz Wallrafs Gedicht auf Kaiser Joseph II., in: Geschichte in Köln 43 (1998), 33–40.
[8] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 22.
[9] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 285–288.
[10] Vgl. Gertrud Wegener: Literarisches Leben in Köln 1750–1850, 1. Teil: 1750–1814, Köln 2000, 88f.
[11] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 60-62.
[12] Vgl. Wegener: Literarisches Leben (wie Anm. 10), 85f.
[13] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 25.
[14] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 65f.
[15] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 39.
[16] Ferdinand Franz Wallraf: Der Senat der Ubier oder der freien Stadt Köln an die National-Versammlung der Franken, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungs-Feier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 171-187, hier: 173. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)
[17] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 39.
[18] Vgl. Klaus Müller: Köln von der französischen zur preußischen Herrschaft. 1794–1815, Köln 2005, 349.
[19] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 52.
[20] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 84f.
[21] Wallraf: Senat der Ubier (wie Anm. 16), 187f.
[22] Wallraf: Senat der Ubier (wie Anm. 16), 195.
[23] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 85.
[24] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 30.
[25] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 366.
[26] Vgl. Müller: Köln (wie Anm. 18), 349.
[27] Bemerkungen, Motive und Gründe für den vom Prof. Wallraf auf Einladung der Mairie der Stadt Köln eingelieferten Vorschlag zur Berichtigung und Übersetzung der Straßenbenennungen daselbst als Antwort auf ein vom Herrn Bezirkspräfekten von Klespé deshalben an die Mairie erlassenes Schreiben mit der Mittheilung eines anderen Vorschlages zu demselbigen Zwecke, Köln, 1812 (Entwurf). In: HAStK, Best. 1105 (Wallraf), A 103, Bl. 127–134, hier: 128.
[28] Vgl. Wegener: Literarisches Leben (wie Anm. 10), 128–135.
[29] Vgl. Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 363–368.
[30] Vgl. Müller: Köln (wie Anm. 18), 349.
[31] Wilhelm Smets: Ferdinand Franz Wallraf. Ein biographisch-panegyrischer Versuch, Köln 1825, 23. (Digitalisat Smets: Wallraf)
[32] Smets: Wallraf (wie Anm. 31), 23.
[33] Vgl. Müller: Köln (wie Anm. 18), 350.
[34] Ferdinand Franz Wallraf: Das berühmte Gemälde der Stadtpatronen Kölns, ein Werk altdeutscher kölnischer Kunst von 1410, in der hohen Domkirche daselbst, in: Eberhard von Groote / Friedrich Wilhelm Carové (Hg.): Taschenbuch für Freunde altdeutscher Zeit und Kunst auf das Jahr 1816, Köln 1816, 349-389. (Digitalisat Groote: Taschenbuch)
[35] Vgl. Deeters: Wallraf (wie Anm. 2), 64; Deeters: Nachlass (wie Anm. 1), 260f.