Das Rubensgemälde

Vanessa Skowronek

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Im Zuge des französischen Kunstraubs wurden in Köln zahlreiche Kunstgegenstände konfisziert. Darunter befand sich auch die von Peter Paul Rubens (1577-1640) gefertigte Kreuzigung Petri, die am 10. Oktober 1794 aus der Pfarrkirche St. Peter entfernt und anschließend nach Paris abtransportiert wurde. Dort wurde das Gemälde im Louvre (ab 1804 Musée Napoléon) gelagert. Erst nach einundzwanzigjähriger Absenz konnte es durch den Kölner Eberhard von Groote (1789-1864) im Jahr 1815 zurück nach Köln gebracht werden.

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Das Interesse der Franzosen an Rubens' Gemälde ist leicht auszumachen. Finanziell hatte das Gemälde etwa einen Wert von 500.000 Francs. [1] Diese Summe war aber weniger ökonomisch von Belang, sondern spiegelte vielmehr den künstlerischen Wert des Meisterwerkes wider. Für den 1802 zum Generaldirektor des Louvre ernannten Vivant Denon (1745-1825) trug es in seiner Einzigartigkeit zur Vollständigkeit des Museums bei (was allerdings für den Großteil aller Kunstgegenstände galt). [2] Der französischen Ideologie des 'befreiten Kulturerbes' folgend, musste Kunst vom Joch des Despotismus befreit und in seine endgültige Heimat, das Land der Freiheit, gerettet werden. [3] Für die Bewohner Kölns hatte das Gemälde darüber hinaus eine lokalhistorische und emotionale Bedeutung, die kaum zu überschätzen ist.

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In Köln gab es im 18. und 19. Jahrhundert eine regelrechte Rubensverehrung. [4] Diese basierte auf der Mutmaßung, dass es sich bei Köln um die Geburtsstadt Rubens' handele. Diese Annahme stellte sich zwar später als falsch heraus, war aber tief im Bewusstsein Wallrafs, Grootes und ihrer Kölner Zeitgenossen verankert.

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Wenn auch nicht in Köln geboren, so hatte Rubens doch zumindest seine Kindheit in Köln verbracht. Sein Elternhaus stand in der Sternengasse, nur wenige hundert Meter von der Jesuitenkirche St. Peter entfernt. Für den Hochaltar dieser Kirche, in der er selbst getauft und sein Vater bestattet wurde, fertigte Rubens im Auftrag der Familie Jabach die Kreuzigung Petri, das 1642 der Kirche als Stiftung übergeben wurde. Da Rubens im Jahre 1640 verstorben war, stellte die Kreuzigung Petri sein letztes Gemälde dar. Dieses Gemälde, welches den „Kölnern für eine ganze Gallerie galt[5], wurde später zur Wiege der kölnischen Kunsttradition erhoben.

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Exemplarisch für die Bedeutung des Gemäldes ist, welchen Wert Wallraf dem Rubensbild in seiner „Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten“, beimaß. [6] Das Verzeichnis stellt sich aus vier Kategorien zusammen. [7] Die erste Kategorie über Kunstwerke der Malerei umfasst mit der Kreuzigung Petri nur ein Werk, das es Wallraf zufolge allerdings wert war, alle anderen Kunstwerke der Malerei zu vergessen. In den anderen Kategorien listete Wallraf die entwendeten Kunstgegenstände auf und versah sie mit einem geschätzten Betrag, sodass sie notfalls auch finanziell ersetzt werden konnten. Für das Rubensgemälde gilt dies aber nicht. Wallraf wollte die Rückkehr des Originalgemäldes bezwecken, ein Umtausch stand für ihn außer Frage. Darüber hinaus bemühte er sich gar um „einen Zusatz von anderen uns passenden Gemälden und Kunstwerken aus den unermeßlichen Magazinen “, der als Ausgleich „für den so lang vermißten Besitz “, [8] also als Entschädigung für die Jahre, die die Kölner ohne das Gemälde auskommen mussten, dienen sollte.

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Die Kölner Behörden unternahmen verschiedene Reklamationsversuche, die jedoch allesamt vergeblich waren. Auch Ferdinand Franz Wallrafs literarischer Vorstoß war nicht von Erfolg gekrönt: In einem französischen Brief an Napoleon ließ er Rubens vom Olymp aus selbst die Bitte vortragen, das Gemälde möge seiner Vaterstadt zurückgegeben werden. [9] Ungeachtet ihres Scheiterns schürten die Reklamationsversuche immer größeres Interesse in der städtischen Öffentlichkeit. Die Kölner suchten in den Jahren der Fremdherrschaft nach ihrer Identität und schienen in Rubens' Meisterwerk eine Projektionsfläche dafür gefunden zu haben. [10] Die Kreuzigung Petri war vor ihrem Raub zwar schon öffentlich sichtbar gewesen, doch hatte man sie damals, umgeben von einer sakralen Aura, kaum als Museumsobjekt betrachtet. Erst im Zuge der öffentlichen Debatte wurde der Raub eines Kirchengemäldes als kollektiver Verlust wahrgenommen. [11]

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Erst durch die Bemühungen Eberhard von Grootes während seiner Rückführungsmission konnte die Kreuzigung Petri den Weg zurück auf ihren angedachten Platz finden (wo sie noch heute zu besichtigen ist). Er befreite das Gemälde nicht nur aus der Hand der Franzosen, sondern konnte auch verhindern, dass es mit vielen anderen nach Berlin abtransportiert wurde. [12]

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Da Grootes Mission recht gut dokumentiert ist, lassen sich die einzelnen Etappen des Ablaufes wie folgt festhalten: Am Vormittag des 11. Juli 1815 ließ Groote den Rubens als erstes Gemälde abhängen. Mit den anderen Gemälden wurde es in einem bewachten Saal zwischengelagert, ehe es am selben Abend aus dem Museum entfernt wurde. Der Abtransport lag in der Verantwortung des preußischen Generals Friedrich von Ribbentrop (1767-1841). [13] Das Rubensgemälde wurde auf Militärfahrzeugen, verpackt „auf seiner eigenen Rolle und in seinem eigenen Kasten“, [14] zunächst nach Aachen gebracht.

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Die Nachricht über den Rücktransport „ihres“ Rubens muss sich in Köln in Windeseile verbreitet haben. Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Johann August Sack (1764-1831), die am 25. Juli in Köln ankamen, wurden schon zu diesem Zeitpunkt „von Freunden und Bekannten, ja von Unbekannten mit dem frohen Grüße überrascht: daß jenes von Rubens für seinen Geburtsort gemalte […] Bild von Paris zurückgebracht werde “. [15] Das Gemälde kehrte schließlich am 1. August 1815 nach Köln zurück und wurde unter anderem von Ferdinand Franz Wallraf offiziell in Empfang genommen.

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Widmungsblatt zum Rubensfest 1837

Bild: ©Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_167798

Die Überführung des Gemäldes nach St. Peter sollte in festlichem Rahmen stattfinden und gleichzeitig die wiedererlangte Freiheit der Stadt nach dem Ende der französischen Fremdherrschaft ausdrücken. Die Feierlichkeiten wurden extra auf den 18. Oktober 1815 gelegt, den zweiten Jahrestag der Schlacht bei Leipzig. Das vielfältige Programm mit Theater, Messe, Hochamt und Parade begann am Abend des 17. mit dem Läuten der Glocken und endete am Abend des 18. mit der festlichen Beleuchtung der Stadt. [16] In einer feierlichen Prozession der Maler, Künstler und Kunstfreunde von Köln wurde das Gemälde vom Rathaus über den Alter- und Heumarkt, vorbei an Rubens' (vermeintlichem) Geburtshaus in der Sternengasse, zurück nach St. Peter gebracht. Getragen wurde das Bild vom Pfarrer der Kirche und von Eberhards Bruder Joseph von Groote (1791-1866). Eberhard befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Paris, versäumte es aber nicht seinen Bruder in einer scherzhaften Ermahnung an seinen Verdienst zu erinnern: „treibt es mit dem Petrus nicht zu toll und nicht zu heidnisch, damit der alte Mann mir nicht zuruft, ‚Da hättest du mein Bild lieber in Ruhe dort gelassen, oder es verbrannt, als daß ich nun zu solchen Spektakel wieder dienen muß.‘“ [17]
 

Anmerkungen

[1] Damit wird die Kreuzigung Petri als das zweitwertvollste Bild Rubens‘ gehandelt, nur übertroffen von der Kreuzabnahme (inkl. beider Seitenflügel) mit einem Wert von 600.000 Francs; vgl. Noberto Gramaccini: Rubens‘ Petrus-Martyrium im Exil, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 85-90, hier: 85.

[2] Gramaccini: Petrus-Martyrium (wie Anm. 1), 88f.

[3] Vgl. Benedicte Savoy: Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, 28.

[4] Siehe dazu weiterführend: Horst Vey: Rubensverehrung in Köln während des 19. Jahrhunderts, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 31 (1969), 95-134.

[5] Ferdinand Franz Wallraf: Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten, in: Johann Heinrich Richartz (Hg.): Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Festgabe zur Einweihungsfeier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, 187-223, hier: 195. (Digitalisat Richartz: Ausgewählte Schriften)

[6] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 5), 195.

[7] A – Kunstwerke (Malerei), B – Wissenschaftliche Werke und andere Kunstwerke, die im „großen Kolleg“ von Köln beschlagnahmt wurden, C - Alte römische oder deutsche Denkmäler und Kuriositäten, die im Zeughaus der Stadt und an anderen Orten konfisziert wurden und D – Privatgegenstände.

[8] Wallraf: Denkschrift (wie Anm. 5), 199.

[9] Ob dieser Brief abgeschickt wurde, ist fraglich. Vgl. Roland Krischel: Die Rückkehr des Rubens. Kölns Kunstszene zu Beginn der preußischen Epoche, in: Hiltrud Kier / Frank Günter Zehnder (Hg.): Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, 91-112, hier: 91f.

[10] Vgl. Savoy: Kunstraub (wie Anm. 3), 160.

[11] Savoy: Kunstraub (wie Anm. 3), 242.

[12] Vgl. Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 4.-5. August 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 19. (Transkription Barbara Becker-Jákli, in: Eberhard von Groote: Tagebuch 1815–1824. Erster Band 1815, bearb. von Barbara Becker-Jákli, Düsseldorf 2015, 316-320.)

[13] Dieser hatte den Auftrag „zur Übernahme, Verpackung und Versendung der zurückzunehmenden Gegenstände “ erhalten, s. Eberhard von Groote: Die Wegnahme der durch die Franzosen geraubten Kunstschätze in Paris 1815, in: Agrippina. Zeitschrift für Poesie, Literatur, Kritik und Kunst 1 (1824), Nr. 25, 97-99, hier: 99.

[14] Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 19. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 16. (Transkription Elisabeth Schläwe)

[15] Johann Wolfgang von Goethe: Ueber Kunst und Alterthum in den Rhein und Mayn Gegenden. Heft 1, Stuttgart 1816, 1. (Digitalisat Goethe: Ueber Kunst)

[16] Vgl. Programm, Köln 1815. In: HAStK, Best. 1105 (Ferdinand Franz Wallraf), A140/30, Bl. 33.

[17] Eberhard von Groote an Joseph von Groote, Paris, 12. Juli 1815. In: Archiv der Herren von Groote, Familienkorrespondenz, 1.1., Nr. 13. (Transkription Elisabeth Schläwe)

Empfohlene Zitierweise
Vanessa Skowronek, Das Rubensgemälde, aus: Gudrun Gersmann, Stefan Grohé (Hg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) — Eine Spurensuche in Köln (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00001), in: mapublishing, 2017, Seitentitel: Das Rubensgemälde (Datum des letzten Besuchs).